Odenwald: Irrungen und Wirrungen

Wanderung auf den Katzenbuckel: Katastrophenfilm im Kopf

Luisa fährt mit ihrem Zeigefinger den Weg auf der Karte entlang.

»Wir gehen einfach hier hoch«, sagt sie, und ihre Fingerspitze bewegt sich im Zickzack den Katzenbuckel hinauf. »Zur Not eben mal ein Stück querfeldein.«

Luisa ist hartgesotten. Sie schläft nachts allein im Wald und campiert im Schnee. Von so einem kleinen Berg wie dem Katzenbuckel im Odenwald lässt sie sich nicht aufhalten. Ich werfe noch mal einen Blick auf die Karte. Keiner der Wege ist als offizielle Wanderroute markiert.

Rauf, nicht drumherum

Wir befragen eine Wander-App, welche Strecke wir von unserem Ausgangspunkt im Tal auf den Katzenbuckel nehmen sollen. Am Startpunkt soll ein paar Monate später unser Naturwandercamp für Erwachsene stattfinden – und wir wollen eine passende Tour testen. Die Route der App führt uns in einem riesigen Bogen um den Berg herum. Luisa und ich sind uns einig: zu weit, dauert zu lange. Wir wollen hinauf auf den Berg und nicht drumherum.

»Zur Not also querfeldein«, bestätige ich. Ein bisschen Abenteuer schadet nicht. Luisa faltet die Karte zusammen.

Am nächsten Morgen hängt der Himmel tief. Luisa füllt Tee in ihre Thermoskanne. Der Regenschirm steckt in der Seitentasche meines Rucksacks – für alle Fälle.

Wie starten am Lauf der Itter, unweit von Eberbach in der Nähe von Heidelberg. Vom Katzenbuckel – mit knapp 630 Metern immerhin der höchste Berg im Odenwald – sind wir noch viele Höhenlinien weit entfernt. Wildschweine haben die Erde der Wiese aufgewühlt, die uns zum Wald führt. Wir überqueren die Itter auf einer kleinen Brücke, und der Weg zwingt uns nach rechts, obwohl wir uns links halten müssten, um uns dem Gipfel zu nähern.

Die nächste Möglichkeit, links abzubiegen, ist ein paar Hundert Meter entfernt. Luisa wittert das Abenteuer und verlässt den Pfad. Wir kämpfen uns durchs Unterholz und hoffen, ein paar Meter weiter oben auf einen Waldweg zu treffen. Doch da ist kein Waldweg, sondern nur ein Zaun.

Luisa und ich stehen vor einer schnurgeraden Wasserachse: der Oberwasserkanal. Ein breiter Graben mit steilen Betonwänden, der sich pfeilgerade am Wald entlangzieht.

Es hilft nichts: Wir müssen den Umweg zur nächsten Brücke nehmen. Nach rund zwanzig Minuten Marsch ist der Katzenbuckel weiter weg als zu Beginn unserer Tour.

Wir kommen auf einen breiten Forstweg, der parallel zu den Höhenlinien am Berg verläuft.

»So wird das nichts mit unserer Bergbesteigung«, denke ich. Luisa und ich beschließen, eine steile Waldarbeitertrasse zu nehmen, um ein paar Höhenmeter hinter uns zu bringen. Die Erde ist aufgewühlt; im Boden haben sich Spuren schwerer Maschinen eingegraben. Mitten auf dem Maschinenpfad wachsen Binsen.

Wir wiederholen das Prozedere ein paar Mal: Forstweg parallel zum Berg, dann mehr oder weniger querfeldein den Berg hinauf, Forstweg, Höhenmeter. Schnaufen, auslaufen, schnaufen, auslaufen, schwitzen, Jacke auf, Jacke zu.

Der Schädel eines Rehbocks

Mitten in einem Hang, rechts von uns ein Meer aus Steinen, die Dreitagebärte aus Moos tragen, bleibt Luisa stehen. Sie hat etwas entdeckt und bückt sich. Ich hieve mich die nächsten paar Höhenmeter zu ihr hinauf. In der Hand hält sie den Schädel eines Rehbocks, aus dem zwei handlange Hörner ragen. Der Knochen ist grünlich, weil sich schon ein paar Flechten darauf niedergelassen haben, aber das Stück ist in gutem Zustand. Wir freuen uns über den Fund. Luisa nimmt ihn mit und wird ihn später im Rucksack verstauen.

Mittlerweile ist Mittag geworden. Der Katzenbuckel ist nicht in Sicht. Wir haben schon lange keine Markierungen oder Wegzeichen mehr gesehen, wissen aber das wir weiter nach oben müssen. Also schlagen wir einen verwunschenen, nicht allzu steilen und fast zugewucherten Pfad nach rechts ein und laufen auf weichem Moos. Brombeeren krallen sich in meiner Hose fest; immer wieder klettern wir über Baumstämme. Vor uns fliehen zwei Rehe. Und dann irgendwann führt der Pfad wieder in die falsche Richtung.

»Also wieder quer durch den Wald«, meint Luisa. Ich schaue mich um und fluche.

Oberhalb von uns verläuft schon wieder ein Zaun. Mitten im Wald. Es kommt wir vor, als würde sich der Katzenbuckel gegen uns wehren, als wären wir eine Plage, die er sich mit allen Kräften vom Leib halten will. Mittlerweile bin ich durchgefroren.

Wir laufen auf dem Weg unterhalb des Zauns entlang. Es geht sanft bergab und mir kommen Zweifel, ob wir es jemals auf den Gipfel schaffen. Luisa und ich konsultieren erneut Karte und App. Im Geflecht aus Forstwegen, vergessenen Waldpfaden und unbegangenen Verbindungsstrecken wird die Orientierung schwieriger. Der Zaun versperrt immer noch die direkte Route auf den Gipfel. Wir müssen in weitem Bogen um den Kopf des Katzenbuckels herum, um es auf einen Weg zu schaffen, der offiziell als Wanderroute markiert ist.

Und dann endlich erreichen wir den Katzenpfad und ein Plateau, das mit seinen von Wald umsäumten Wiesen typisch für den Odenwald ist. Luisa streckt den Finger aus.

»Dort ist er«, sagt sie und zeigt auf den Gipfel.

Noch immer haben wir ein paar Höhenmeter vor uns, können aber jetzt entspannt der Beschilderung folgen. Nach rund elf Kilometern und fast fünfhundert Höhenmetern stehen wir auf dem Gipfel. Graupel fällt. Meine Finger sind rot. Mir läuft die Nase und ich bin froh, dass es heute nicht mehr weiter nach oben geht.

Ein Vulkan und ein Kompass, der verrückt spielt

Ich lese das Wegschild am Gipfel und schaue ein wenig sehnsüchtig den schmalen Waldpfad entlang, der zur Katzenbuckel-Therme führt. Luisa besteigt den Aussichtsturm auf dem Berg. Ich bewache die Rucksäcke und frage mich, wie wir den Katzenbuckel am besten wieder hinunterkommen. Die Mission Bergbesteigung ist gelungen, aber passieren die meisten Unglücke nicht beim Abstieg?

Mein Kopfkino springt an: Der Katzenbuckel ist laut Infoschild wohl der Überrest eines Vulkans, der vor rund siebzig Millionen Jahren hartes Gestein ausgespien hat. Mit der Zeit haben Wind und Wetter den Boden rund um dieses harte Gestein abgetragen – der Katzenbuckel blieb übrig. Blitzeinschläge haben an dem magnetithaltigen Gipfel eine magnetische Abweichung erzeugt. Kompassnadeln funktionieren hier oben nicht … Was, wenn der Vulkan unter dem Katzenbuckel noch aktiv wäre? Wenn es tief im Inneren des Berges rumorte und brodelte und wir der Katzenbuckel-Katastrophe nur knapp entrinnen könnten? Natürlich erst, nachdem wir festgestellt hätten, dass unser Kompass (wir haben keinen dabei, aber in der Hollywood-Verfilmung hätten wir das natürlich) durchdreht und sich damit das bevorstehende Höllenfeuer schon andeuten würde. Dann hinge von der Wahl der Rückroute unser Überleben ab. Der Rehbock wäre vor ein paar Jahren durch vulkanische Dämpfe zu Tode gekommen und der Zaun würde eine geheime Forschungsstation schützen, in der Wissenschaftler versuchen, den Vulkan so zu manipulieren, dass sie ihn als Waffe missbrauchen können.

Bevor ich überlegen kann, ob in meinem Endzeit-Blockbuster mit dem Titel »Katastrophe am Katzenbuckel« lieber Julia Roberts oder Scarlett Johansson die Hauptrolle übernehmen soll, kommt Luisa aus dem dunklen Eingang des Aussichtsturms. Ich schüttele die Szene ab, in der die Turmmauern feine Risse bekommen, Beton von der Decke rieselt, der Turm schwankt und Luisa sich nur noch in letzter Sekunde aus dem Gemäuer befreien kann, bevor es donnernd ins Tal stürzt und dabei eine unschuldige Gruppe wandernder Schulkinder in den Tod reißt, und zwinge mich ins Hier und Jetzt.

Luisa und ich brüten über einer heißen Tasse Tee über einen möglichen Rückweg. Wir sind uns einig: Der Hinweg taugt nichts.

»Zu unspektakulär«, findet Luisa.

»Zu anstrengend«, sage ich.

»Zu kompliziert«, sagt Luisa.

Wir entscheiden uns für eine Route über Eberbach, vorbei an der gleichnamigen Burgruine. Unterwegs stärken wir uns mit ein paar Brombeerknospen, die nach Kokosnuss schmecken, wenn man ein wenig darauf herumkaut.

Am Rastplatz an der Ruine breiten wir noch mal unsere Wanderkarte aus. Wir sehen hinunter ins Neckartal, um uns Jahrhunderte alte Mauern, an denen Efeu rankt. Luisa bekommt sofort Lust, in der Ruine zu biwakieren.

Kurz hinter Eberbach treffen wir einen alten Bekannten: den Oberwasserkanal. Der Ausgangspunkt kann nicht mehr weit sein. Dass die Route insgesamt wenig tauglich war, macht uns nichts aus.

»Immerhin wissen wir jetzt, dass wir so nicht gut zum Katzenbuckel kommen«, meint Luisa.

»Wir werden noch mal losziehen müssen«, antworte ich.

Fortsetzung folgt also. Freut euch auf »Katastrophe am Katzenbuckel – Teil 2«.

Du hast Lust, mit Luisa und mir den Odenwald zu erkunden? Dann melde dich zu unserem Naturwandercamp für Erwachsene im September 2023 an. Bis dahin haben wir auch eine passende Route auf den Katzenbuckel auskundschaftet. Versprochen!

Odenwald: Besteigung des Katzenbuckels

Land: Deutschland (Baden-Württemberg)

Anreise: Man kann beispielsweise von Eberbach aus eine Tour zum Katzenbuckel starten. Eberbach ist per S-Bahn von Heidelberg aus erreichbar. Von unserem Ausgangspunkt, dem Jugendzeltplatz Itterhof, zu starten, ist nicht empfehlenswert. Daher sei an dieser Stelle eine andere Tour verlinkt, die ebenfalls über die Burguine Eberbach führt, die – ebenso wie der Katzenbuckel – einen Besuch wert ist.

Gehzeit: rund 5 Stunden für knapp 20 Kilometer (5. März 2023) und rund 560 Höhenmeter

Herausforderungen: unwegsames Gelände, steiler Anstieg zum Katzenbuckel

Höhepunkte: Brückchen über die Itter, Rehe, moosbewachsene Steine, Aussichtsturm auf dem Katzenbuckel, Katzenpfad, Brombeer-Knopsen, Rehschädel, Burgruine Eberbach

Es gibt noch mehr Wandergeschichten aus dem Odenwald, etwa über den St.-Jost-Pilgerweg, den Panoramaweg bei Birkenau oder den Nibelungensteig. Schau gerne mal rein!

Hinterlasse einen Kommentar