Ausflugstipp: Komfortzone

Vom Wandern in unliebsamen Gefilden: Ein Gespräch mit einem Ratgeber

»Hallo, ich bin Ratgeber. Darf ich dir einen Rat geben?«

»Wenn’s sein muss.«

»Du solltest mal wieder raus, raus aus deiner Komfortzone.«

»Bin ich denn da drin in dieser Komfortzone?«

»Wahrscheinlich ziemlich tief sogar. Die meisten machen es sich da bequem.«

»Ist die nicht dafür da? Heißt ja schließlich Komfortzone.«

»Nein, die Komfortzone ist dafür da, um sie zu verlassen.«

»Brauche ich ein Ausreisevisum?«

Der Ratgeber funkelt mich böse an. 

»Okay, okay … Woher weiß ich denn, dass ich draußen bin?«

»Du musst etwas machen, das dir schwerfällt. Etwas, vor dem du dich fürchtest zum Beispiel. Du kannst auch in fremde Länder fahren, in denen du dich nicht zurechtfindest.«

»Ich habe mich schon mal in Mannheim verlaufen. Gilt das?«

»Nein.«

»Ich war ein paar Monate in Australien zum Wandern. Da gab es Schlangen.«

»Ja, das ist annehmbar.«

»Also noch mal nach Australien?«

»Nein, das gilt jetzt nicht mehr. Du musst was Krasseres machen. Das steigert die Produktivität.«

»Gilt alleine wandern? Ich war im Harz. Da war es ziemlich einsam.«

»Naja, der Harz ist nicht gerade der Himalaya. Kannst du keine anstrengenden Touren vorweisen?«

»In Neuseeland bin ich auf einen ziemlich hohen Berg gestiefelt. Hätte fast aufgegeben … Und in Hongkong war es so heiß, dass ich aufgegeben habe.«

Der Ratgeber nickt. »So ist es gut. Nur hättest du natürlich wegen so einer kleinen Unannehmlichkeit nicht das Handtuch werfen dürfen.«

»Ey, ich wäre auf diesem Wanderweg fast geschmolzen!«

Der Ratgeber runzelt die Stirn und sagt nichts. Wir schweigen für einen Moment.

»Ich fürchte mich vor fetten Motten. Habe mal eine auf Gran Canaria getroffen. War wirklich ein dicker Brummer.«

»Ja, damit können wir arbeiten.« Der Ratgeber schließt die Augen und denkt nach. »Du könntest eine fette Motte fangen und aufessen.«

»Bin Vegetarier.«

»Ich habe das Gefühl, du nimmst das hier nicht ganz ernst.«

Ich fühle mich in die Ecke gedrängt.

»Müssen Hühner auch raus aus ihrer Komfortzone?

»Nein, aber Menschen schon – sonst wird das nichts mit dem inneren Wachstum und der Selbstverwirklichung.« Der Ratgeber ist sauer.

Ich nehme mich zusammmen, will den Ratgeber schließlich nicht enttäuschen. Der hat ja sicher viel Ratgebererfahrung. Inneres Wachstum klingt doch nach einer guten Sache. Ich mag mich zwar jetzt schon ganz gut leiden, aber mehr ist natürlich besser. Wenn ich mich mit einem Ausflug in die Unkomfortzone selbst verwirklichen kann, warum nicht? Wie wäre es mit einer Nacht allein im Wald?

»Wie oft muss ich denn raus aus meiner Komfortzone? Reicht einmal im Monat?«

»Du versteht das Prinzip nicht«, sagt er. »Das ist eine Einstellungssache.« Der Ratgeber hüpft nervös auf und ab und fuchtelt mit dem Zeigefiner. »So viel Komfort! Da wirst du unkreativ. Die Welt verändert sich. Aber du bleibst stehen. Erstarrung. Einfach mal was anders machen – darauf kommt es an. Etwas Neues ausprobieren. Grenzen überwinden. Entscheidungen treffen. Sich nicht von Angst leiten lassen. Verdammt noch mal, dusch wenigstens ab sofort kalt!«

Ich bin verwirrt, weil ich nicht verstehe, warum kalt duschen zu innerem Wachstum führt, aber ich traue mich nicht nachzufragen. Der Ratgeber redet sich in Rage. »Wenn du etwas wagst, wird deine Komfortzone größer. Und du kommst besser klar, wenn es mal hart auf hart kommt.«

»Ah! So wie jetzt mit dieser Corona-Sache. Zu Hause bleiben ist echt nicht so einfach.«

Der Ratgeber schaut mich fragend an. »Was ist denn dieses Corona-Ding?«

»So ein neuer Virus. Und jetzt haben wir Pandemie, und alle müssen Abstand halten und ganz viel Hände waschen. Außerdem ist Klopapierkrise. Und wenn es so weitergeht, darf ich bald noch nicht mal mehr raus zum Wandern.«

Der Ratgeber klatscht freudig in die Hände. »Na, endlich«, sagt er. »Das ist deine Chance!«

 

Wandergeschichten, die von Ausflügen aus meiner persönlichen Komfortzone erzählen, sind zum Beispiel Grasbüscheleiland (Australien), Midge-Massaker (Schottland) und Sternenzelt (Mallorca). Wenn ihr es euch lieber ein wenig in der Komfortzone gemütlich machen wollt, empfehle ich die Lektüre von Landschaftsmalerei (Pfalz) und Panda-Bashing (Rhön).

 

2 Kommentare Gib deinen ab

  1. Liebe Jana,
    Dass RAUS aus der Komfortzone mal bedeuten könnte, dass man vorzugsweise DRINNEN bleibt, hätten wir wohl alle nicht gedacht!
    Dein Ratgeber hat Recht, und ich versuche ihn mir ebenfalls zu Herzen zu nehmen. Habe mir inzwischen – sehr untypisch – einen Tagesplan gemacht, der mich aus der Monotonie des Homeoffice rausreißen soll. Morgens meditieren, mittags Spazieren und nachmittags 7 Minuten Intensivtraining. Ja, ja, ja, hört, hört – mit einer App, in deren Videos ein gutaussehender Typ Übungen vormacht und die mich aber sowas von aus der Komfortzone schiebt. Ich durfte nämlich feststellen, dass ich über absolut gar keine seitlichen Bauchmuskeln verfüge. Seitdem habe ich ein kleines Haustier, den Muskelkater. Aber irgendwas muss man ja machen, bevor man vom vielen Händewaschen durchdreht.
    Also lernen wir doch alle daraus – und sei es auch nur, dass die seitlichen Muskeln degeneriert sind.
    Lass es dir gut gehen und bleib gesund,
    Audrey

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    1. Jana sagt:

      Liebe Audrey, ah, den Muskelkater kenne ich. Der streunt bei mir auch ab und an herum 🙂 Einen Plan fürs Homeoffice habe ich nicht gemacht, aber es kristallisiert sich langsam eine Tagesstruktur heraus. Meine Kolleginnenn und Kollegen haben derweil die virtuelle Kaffeepause erfunden – eine geniale Sache! Dank Web-Konferenz vereinsamt man nicht ganz. Immerhin ist unser liebes Hobby, das Wandern (oder der kleine Bruder namens Spaziergang), selbst in Corona-Zeiten möglich, solange man in möglichst einsamen Gefilden unterwegs ist und sich nicht auf schwieriges Gelände begibt, wo man womöglich gerettet werden muss. Ich bin gespannt, was die nächsten Wochen bringen. Ein Hoch auf die Komfortzone! Und auf alles, was außerhalb liegt! Auf bald!

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