Kaikoura Ranges: Schattenmann

Der Mann, vielleicht Anfang zwanzig, er sieht nicht unsportlich aus, kauert mit angewinkelten Knien, die Ellbogen aufgestützt, unter dem Busch. Die Äste legen ihre Schatten geizig über den steinigen Boden. Der Kauernde trägt keinen Hut, sein Gesicht ist aufgedunsen, seine Haut leuchtet wachsig pink. Die Sonne schickt durch das trockene Holz glühende Lichtflecken in seinen Unterschlupf. In der Hand hält der Mann eine Plastikflasche, in der ein kleiner Rest Wasser steht.

Eins zu Null für den Mount Fyffe.

Der Berg an der Westküste Neuseelands hat dem Schattenmann gezeigt, dass es nicht jeder bis nach oben schafft. Er sei nicht vorbereitet, murmelt er. Aber es gehe ihm soweit gut. Er werde hier warten, bis seine Freunde zurück seien, sagt er, und nuckelt an seinem Fläschchen.

Ich bin kurz davor, mich zu ihm zu setzen. Den Rucksack fallen zu lassen und mich dem Berg zu ergeben. Seit rund zwei Stunden kämpfen mein Freund und ich uns den Mount Fyffe hinauf.

Die Luft ist eingedickt wie Suppe, die zu lange gekocht hat. Ich schnaufe bei jedem Schritt über den schottrigen, schattenlosen Pfad wie ein Nashorn und wundere mich: Wieso mache ich das? Ich könnte in Kaikoura im Café sitzen, Cappuccino mit Schokopulver trinken oder am Strand liegen.

Wie die Kümbdcher Hohl, nur länger

In meiner Heimatstadt, einem kleinen Ort im Hunsrück, gibt es eine Straße namens Kümbdcher Hohl. Die Straße ist nur wenige Hundert Meter lang und führt auf eine Anhöhe, auf der meine Schule lag. Die Straße ist teilweise so steil, dass sie bei Schnee nicht befahrbar ist. Man kommt nur hechelnd wie ein asthmatischer Chihuahua oben an. Mein Fahrlehrer hat auf der Kümbdcher Hohl gerne Anfahren im Berg mit mir geübt, ein Prozedere bei dem mir der Schweiß aus allen Poren brach, weil ich uns jedes Mal rückwärts in die nächste Straßenlaterne donnern sah, und der Motor des Fahrschulautos heulte, weil es ohne eine ordentliche Portion Gas nicht ging. Niemand würde ernsthaft auf der Kümbdcher Hohl parken, aber immerhin kann ich jetzt ziemlich gut im Berg anfahren.

Der Mount Fyffe ist wie die Kümbdcher Hohl, nur in lang. Wenn jemand zu mir sagen würde, komm, wir laufen dreißig Mal diese Straße rauf und runter, würde ich verständnislos den Kopf schütteln. Es ist also nur konsequent, wenn ich in dem Moment, als der Schattenmann hinter einer Kurve auftaucht und mir klar wird, wie stark der Berg kämpft, an meinem Verstand zweifele.

Der Mount Fyffe liegt an der Ostküste der neuseeländischen Südinsel, nicht weit entfernt vom Küstenstädtchen Kaikoura. Der Aufstieg auf seinen 1.602 Meter hohen Gipfel dauert rund fünf Stunden. Der Berg presst 1.400 Höhenmeter auf rund acht Kilometer. Das macht im Durchschnitt mehr als 17 Prozent Steigung.

Zweieinhalb Tage für einen Berg

Man kann an einem Tag auf den Gipfel und wieder zurück laufen. Aber warum sollte man? Mein Freund und ich haben entschieden, die sechzehn Kilometer lange Tour auf zweieinhalb Tage auszudehnen: am ersten Tag zur Hütte unterhalb des Gipfels, am zweiten ganz nach oben und zurück zur Hütte, am dritten Tag wieder runter vom Berg.

Es ist erst Tag eins, als ich überlege, mein Lager neben dem jungen Mann aufzuschlagen, es gut sein zu lassen, auf Berge, Küste und Meer zu starren. Aus mir wird kein Bergsteiger mehr. Berge sind anstrengend, vor allem in der Mittagssonne.

Aber die Hütte ist nicht mehr allzu weit. Dort warten Wassertank und Schatten. Wir lassen den Schattenmann zurück.

Nach rund drei Stunden sind wir an der Hütte, wo bereits ein paar Franzosen ermattet auf den Matratzen liegen. Ich beglückwünsche mich zu meiner übermenschlichen Leistung und trockne meinen Schweiß in Sonne und Wind. Der Gipfel am nächsten Tag, das Gepäck bleibt für den Aufstieg in der Hütte, dürfte irgendwie auch noch zu schaffen sein.

Ein Helikopter landet vor der Hütte

Als am Nachmittag ein Helikopter nur wenige Meter vor der Hütte landet und mich mit seinem Geknatter aus meinem schläfrigen Zustand reißt, bemitleide ich die Touristen. Sie haben nur zehn Minuten für die Aussicht und ihre Erinnerunfsfotos, dann müssen sie weiter.

Sie verpassen, wie die Luft bei Sonnenaufgang riecht. Wie gut das Wasser an der Hütte schmeckt. Den Mittagsschlaf in warmer Bergluft. Ihnen entgeht der Stolz, den so eine Bergbesteigung mit sich bringt, selbst wenn man dazu zweieinhalb Tage braucht. Für ihren Helikopterflug haben sie mehrere Hundert Dollar bezahlt, dabei ist die Aussicht vom Mount Fyffe gratis. Als der Pilot die Rotoren anwirft und das Pärchen davonfliegt, ahne ich, warum Menschen auf Berge steigen und weshalb dauerhaftes Cappuccino-Strand-Urlaubsentspannungsprogramm nichts für mich ist.

Beim Weg nach unten am dritten Tag der Tour ist die Hitze strömendem Regen gewichen. Nebel und Wolken lassen Berge und Meer verschwinden. Der Schattenmann ist auch nicht mehr da. Ich denke, das ist ein gutes Zeichen.

Kaikoura Range: Besteigung des Mount Fyffe

Land: Neuseeland (Südinsel)

Anreise: Zum Parkplatz am Fuß des Mount Fyffe kann man von Kaikoura aus ein Shuttle nehmen, oder man fährt mit dem eigenen Auto dorthin.

Gehzeit: zweieinhalb Tage für sechzehn Kilometer (17. bis 19. Dezember 2019). Für Auf- und Abstieg haben wir rund acht Stunden gebraucht. Man kann den Mount Fyffe also an einem Tag besteigen, aber die Hütte unterhalb des Gipfels liegt so wunderbar, dass ich empfehle, sich zumindest zwei Tage Zeit zu nehmen.

Herausforderungen: Höhenmeter und Hitze (wenig Schatten). Der Weg ist breit, gut beschildert, verlaufen kann man sich eigentlich nicht.

Höhepunkte: Sonnenaufgang, Blick aufs Meer, den schneebedeckten Manakau und die Seaward Kaikoura Range, kleine Schmetterlinge, auf der Bank auf dem Gipfel sitzen, die Hütte unterhalb des Gipfels

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