Hongkong: Schweinehundestreik

Manchmal hat der innere Schweinehund recht. Ich hätte auf ihn hören sollen. Er hat mir geduldig zugeredet, gepredigt, dass mehr als dreißig Grad und knapp neunzig Prozent Luftfeuchtigkeit kein Wanderwetter sind. Aber er darf in diesen Angelegenheiten nicht mitreden, auch wenn er noch so winselt. Frische Luft ist gesund, und Bewegung tut gut.

Hat mein Schweinehund auf den ersten Metern noch heftig gehechelt und gezetert, ist er mittlerweile verstummt. Er liegt regungslos auf dem Rücken. Ich schleife ihn hinter mir her und bete, dass sein kleiner Körper nicht zu hart auf den steinernen Stufen aufschlägt. Seine Augen sind geschlossen.

Der Strand ist unerreichbar fern

Hinter mir und dem bedauernswerten Wauzi trottet mein Freund gebeugt den Berg hinauf. Galeerensträflinge hatten mehr Spaß, vermute ich.

Obwohl sich unter uns bildwürdige kleine Inseln im Meer sonnen und Wolkenkratzer sich an die Hänge der Steilküste drücken, macht mein Freund keine Fotos. Sandstrand, Sonnenschirme, Buden mit gekühlten Kokosnüssen – alles ist unerreichbar fern da unten.

Die Chinesen vor uns halten sich kleine Ventilatoren aus Plastik vors Gesicht. Ein Inder fragt, wie weit es noch zum Strand sei. Ein älterer Herr geht oberkörperfrei. Am Wegrand liegen benutzte Feuchttücher. Zwei drahtige Mannsbilder joggen an dem Pilgerstrom vorbei. Sie glänzen und ich frage mich, ob sie mit ihrem Schweinehund Waterboarding oder so gemacht haben, um ihn zum Schweigen zu bringen.

Ich bleibe kurz stehen, um mich auszuruhen, hechele und merke, dass ich anlaufe wie eine Fensterscheibe im Tropicana-Erlebnisbad. Die Luft ist zäher pappiger Sirup. Ich schütte mir Wasser über den Kopf. Sonnenmilch läuft mir ins Auge. Es brennt. Mein Blut versackt in den Füßen und meine Finger hängen wie geschwollene Würste an mir herunter.
»Fühl mal«, sagt mein Freund. Ich taste vorsichtig an seinem Hintern herum. Seine Hose ist nass. Er habe noch nie so geschwitzt, meint er.

Ich kann ihm nicht widersprechen. Wir sind seit fast zehn Monaten zusammen unterwegs und haben Erfahrung mit schweißtreibenden Wandertouren. Aber der Dragon’s Back schafft uns.

Dennoch: Aufgeben ist für mich keine Option. Wo kämen wir denn hin, bei jeder klitzekleinen Unannehmlichkeit gleich das Handtuch zu werfen? Wanderer sind zäh, keine Jammermäulchen. Schlechtes Wetter gibt es nicht. Basta!

Bester urbaner Wanderweg

Ich verliere eben nicht gern, schon gar nicht gegen einen nur wenige Kilometer langen Wanderweg mit ein paar vernachlässigbaren Höhenmetern. Die anderen Wanderer halten schließlich auch durch. Ein Bus spuckt etwa viertelstündlich eine Ladung Touristen am Eingang des Trails aus. Sie alle sind den verheißungsvollen Versprechen von Reiseführern und Bloggern gefolgt.
»In 2004 the Dragon’s Back Trail was selected by TIME Asia as the best urban hiking trail«, heißt es bei Wikipedia. Es ist von »shimmering white waves against the blue sky« und »million dollar views« die Rede.

All das nehmen wir beide kaum wahr. Der schwüle Dunst ringt uns nieder, müde erreichen wir den Shek O Peak, den höchsten Punkt der Wanderung. »Hast du Spaß?«, fragt mein Freund.

Ich will nicht lügen und sehe mir den Schweinehund an. Sein Fell ist staubig. Er ist hinüber. Mein Kopf fühlt sich an wie eine frisch gekochte Pellkartoffel und hat die Farbe eines Pavianpos.

Ich spüre, dass ich schwach werde. Hongkong lässt meinen Widerstand dahinschmelzen. »Kannst ja schreiben, dass ich nicht weiter wollte«, schlägt mein Freund vor.

Auf dem Weg zurück zur Bushaltestelle kommt uns ein dreiköpfiger Erste-Hilfe-Trupp entgegen, der die Route nach verdursteten Wanderern absucht. Ich drücke ihnen den schlaffen Schweinehund in die Hände. »Konnte nicht mehr«, sage ich und freue mich auf den klimatisierten Bus Richtung Hotel.

Hongkong: Dragon’s Back

Land: China (Sonderverwaltungszone Hongkong)

Anreise: Der Trail ist gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen. Ihr nehmt die U-Bahn bis Shau Kei Wan, dann den Bus Nummer neun bis To Tei Wan. Der Bus fährt regelmäßig. Näheres erfahrt ihr auf A Daily Travelmate.

Gehzeit: Für den Trail (Dragon’s Back bis Big Wave Beach) sollte man zwischen zwei und drei Stunden veranschlagen. Wir haben bis zum Shek O Peak, der höchsten Erhebung der Strecke, rund dreißig Minuten gebraucht – und sind dann umgekehrt.

Herausforderungen: Sonne, Hitze und jede Menge anderer Schweinehundfolterer, die auf dem Trail unterwegs sind. Wenn ihr die Wanderung dennoch in Angriff nehmen wollt: Startet frühmorgens, nehmt viel Wasser mit und schützt euch vor der Sonne. Unter der Woche soll weniger los sein als am Wochenende. Bis zum Shek O Peak geht es fast kontinuierlich bergauf, die Strecke ist aber relativ kurz. Der Weg ist gut beschildert.

Höhepunkte: Schmetterlinge, Bambus, Aussichtspunkte

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