Frosch Nummer zwölf schaut mich, so scheint es doch, ein wenig mitleidig von unten an. Dem hühnereigroßen Tierchen macht der schottische Nieselregen nichts aus. Tropfen laufen mir über die Brillengläser. Die nassen Socken lassen meine Füße verschrumpeln. An den Handgelenken sickert Wasser in die Ärmel der Regenjacke.
Der Frosch, der letzte für heute, hüpft ins Heidekraut und ich mache seufzend und fluchend einen weiteren Schritt auf dem moorastigen Weg Richtung Lairig Ghru Pass, nicht ahnend, dass ich den Regen noch herbeisehnen würde.
Auf der Jagd nach den Mücken
Am Abend campieren wir unterhalb von Devil’s Point in der Nähe der Corrour Bothy, einem Wandererunterschlupf. Im Zelt geht mein Freund auf die Jagd. Mit ausgestrecktem Zeigefinger zerquetscht er die Midges, die sich vor dem Regen ins Zelt geflüchtet haben. Die rund zwei Millimeter kleinen beißenden Plagegeister sind in der Überzahl, aber mein Freund ist geduldig. Die winzigen Mücken sterben eine nach der anderen in einem Fingerspitzenmassaker.
Im August regnet es in Schottland besonders viel. Das wussten mein Freund und ich nicht, als wir die Flüge nach Edinburgh gebucht haben. Wir sind drei Tage in den schottischen Highlands unterwegs, genauer gesagt im Nationalpark Cairngorms – von Blair Atholl nach Aviemore. Die lila Blütendecke des Heidekrauts sorgt dafür, dass wir genauso gut auf einem fremden Planeten gelandet sein könnten, auf dem violette Vegetation vorherrscht.
Über Geröllfelder am Pass Lairig Ghru
Ich teile die Theorie, auf einer extraterrestrischen Außenmission zu sein, mit meinem Freund. »Dann hätten wir Düsenrucksäcke«, sagt er nur lakonisch. Die Geröllfelder am Lairig Ghru Pass – Tag drei der Strecke, die wir nach mehrstündigem Aufstieg erreichen, sehen trotzdem aus wie eine Mondlandschaft. Ein paar einsame Steinmännchen weisen den Weg. Weder Frösche noch Midges sind zu sehen.
Der Regen hat den Abstieg vom Pass maximal anstrengend werden lass. Matsch und rutschige Steine machen müde. Unser Wanderrhythmus sieht vor, nach sechzig Minuten Gehzeit eine Viertelstunde Pause zu machen.
Insekten in den Nasenlöchern
Im August gibt es in Schottland besonders viele Midges. Das wussten mein Freund und ich nicht, als wir die Flüge nach Edinburgh gebucht haben. Jetzt, da es windstiller ist als auf dem Pass und der Regen sich verzogen hat, sind sie da, sobald wir rasten. Erst nur wenige, dann rufen sie ihre Kumpels und schlagen zu. Panisch schmieren wir Anti Brumm, das uns gegen norwegische und schwedische Stechmücken hervorragende Dienste geleistet hat, auf Hände und Gesicht und tanzen ekstatisch, um unsere Rucksäcke. Die chemische Keule bringt unsere Haut zum Glühen, die Midges finden uns immer noch lecker.
Sie kriechen in Augen und Nasenlöcher, schlüpfen an der Kapuze vorbei in den Nacken und scheuen sich nicht davor, eingeatmet zu werden. Ihre Bisse fühlen sich an wie feine Nadelstiche. Aus der Rast wird nichts. Wenn wir marschieren, kommen die Midges nicht mit. Rund vier Stunden, während des gesamten Abstiegs, suchen sie uns heim. Meine Beine sind wackelig, die Fußsohlen brennen, und ich stehe kurz vor dem Hungertod. Jeder Versuch, einen Müsliriegel aus meiner Tasche zu fischen, würde die Insekten auf den Plan rufen. Ich wünsche mir einen kräftigen Schauer herbei, mit dicken Tropen. Denn bei Regen fliegen die Midges nicht.
Glen Tilt und Lairig Ghru (von Blair Atholl nach Aviemore durch den Nationalpark Cairngorms; Tour 2 in: Doris Dietrich und Anja Vogel: Schottland: Central Highlands & Cairngorms Nationalpark)
- Land: Großbritannien (Schottland)
- Anreise: Mit dem Flugzeug von Frankfurt am Main nach Edinburgh, von Edinburgh mit dem Bus nach Blair Atholl
- Länge: rund 65 km
- Gehzeit: 3 Tage (10. bis 12. August 2017)
- Etappe 1: Blair Atholl bis Glen Tilt Camp (20 km)
- Etappe 2: Glen Tilt Camp bis Corrour Bothy (22,2 km)
- Etappe 3: Corrour Bothy bis Aviemore (22,3 km)
- Höhepunkte: Tal des Glen Tilt (der Fluss hat die Farbe von Whisky), Moorhühner, Frösche, Heidekrautblüte, Geröllfelder am Lairig Ghru Pass, Übergang in den Wald vor Aviemore
- Herausforderungen:
- Orientierung. Es gibt nahezu keine Wegmarkierungen auf der gesamten Strecke. Karte, Kompass und/oder Navigationsgerät und Wegbeschreibung sind daher unverzichtbar.
- Midges
- Trinkwasser: Es gib zwar überall Wasser, aber auch viele Schafe. Wir haben deshalb das Wasser aus den Bächen sicherheitshalber desinfiziert.
- Bei Regen den Mut nicht verlieren
Deine Touren nicht vom Anfang bis zum Ende zu präsentieren, sondern nur einen typischen Auszug daraus, finde ich nicht uninteressant.
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Danke. Ich kann ohnehin nicht jedes Blümlein am Wegesrand beschreiben. Alles Schreiben ist Weglassen und jeder Text nur ein Ausschnitt. Das Weglassen finde ich oft besonders schwierig.
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