Mannheim: Monte Monnem Mini

Teil 3 der Serie »Mannheimer Wanderwege« – Frühlingswanderung im Dossenwald – Umspannwerk, Wildschweine, Ameisenlöwen und ein Möchtegernberg

Als ich loswandere, ahne ich nicht, dass ich mir an diesem Tag einen Eintrag in einem Gipfelbuch sichern werden. Es ist ein Gute-Laune-Moment, albern wie eine junge Katze, die ihrem eigenen Schwanz hinterherjagt.

Die Runde durch den Dossenwald beginnt direkt hinter einem Umspannwerk. Das ist mal wieder typisch für Mannheim, die Stadt, in der ich seit rund zehn Jahren zu Hause bin: Die Industrie ist nie weit weg.

Hinter einem hohen Zaun bitzelt es in den Leitungen. Die Strommasten überragen die Bäume um ein Vielfaches. Daneben sonnen sich Eidechsen auf einem alten Baumstamm. Wenn ich stillstehe, trauen sie sich aus ihren Löchern. Sobald sie erschrecken, verwandeln sie sich in Reptilienraketen und huschen zurück in die Höhlen im Holz, als hätten sie aus dem Umspannwerk eine Extraportion Energie verpasst bekommen. Ihre Eidechsenexistenz kennt an diesem Tag nur zwei Zustände: panikartige Flucht und genussvolle, unbewegliche Trägheit. Die Sonne pumpt ihnen neue Kraft in die Adern und mir Endorphine ins Hirn. Der Wald hat sich mit den ersten bunten Frühlingsblumen am Wegrand in Schale geworfen – in eine schlichte, aber feierliche Tracht aus strahlendem Weiß, Quietscheentchengelb und Altfrauenlila.

Naturschutz zwischen dem Asphalt der Schnellstraßen

Der Dossenwald hat nicht viel Platz. Das Naturschutzgebiet muss sich zwischen A6, A5 und zwei Bundesstraßen quetschen, die gemeinsam eine rund acht Kilometer breite und fünfzehn Kilometer lange Raute umschließen, an deren südöstlichem Rand Heidelberg beginnt. Fast überall mischt sich das Rauschen des Verkehrs unter den Gesang der Vögel.

Das Gebiet kommt mir vor wie ein Zugeständnis – ein Reservat für ein bisschen Natur inmitten der Metropolregion Rhein-Neckar mit ihren Häfen, Fabriken, Schienen, Bürohäusern, Kraftwerken, Pipelines und Einkaufszentren. Für gestresste Städter sind mehrere Walkingstrecken ausgeschildert. Für die Kinder gibt es Spielplätze, aber die sind wegen Corona an diesem Tag noch geschlossen.

Die Wanderung fühlt sich eher an wie ein geruhsames Flanieren, anstrengungslos, beschwingt. Viele der Wege, die den Dossenwald durchziehen, sind breit und ausladend und schnurgerade wie eine Allee, die zu einem höfischen Prunkbau führt. Von diesen Hauptschlagadern führt ein Netz kleiner verschlungenere Pfade zwischen Kiefern und Laubbäumen hindurch, unterbrochen von Lichtungen groß wie Golfplätze.

Die Zweige tragen schon erstes Grün. Die Knospen wirken wie übermütige Riesenläuse, die sich endlich aus ihrem hölzernen Gefängnis befreit haben. Der Frühling hat den Motor angeworfen; die Hummeln brummen, Schmetterlinge zappeln und Menschen führen ihre Hunde spazieren.

Wie bei so vielen stadtnahen Wanderungen ist die Tour kein Premiumkandidat. Es fehlen die Aussichten, die Schluchten und die Wasserfälle. Der Dossenwald wird es nicht in den Lonely Planet schaffen.

Trotzdem hat auch dieses Stückchen Erde seine Schätze. Das Besondere am Dossenwald sind seine sandigen Böden, auf denen Tierchen wie der Ameisenlöwe zu Hause sind. Ameisenlöwen sind die Larven der Ameisenjungfer, einem geflügelten Insekt. Die Löwen-Larven haben ein im Vergleich zu ihrem Kopf riesiges Hinterteil und Mundwerkzeuge, die mich an die Folterinstrumente meines Zahnarztes erinnern. Sie buddeln Trichter in den Sand und fangen so ihre Beute.

Einen Ameisenlöwen bekomme ich nicht zu Gesicht, dafür aber ein paar Wildschweine, die hinter Zäunen in einem Wildgehege in der Erde wühlen. In der Nachbarschaft hausen Auerochsen und Muffelwild.

Während sich der größte Teil des Dossenwalds flach wie ein Blatt Papier auf die Erde legt, steigt der Pfad, auf dem ich zwischen Bäume umherschlendere, irgendwann sanft an, und ich stehe am Fuß des Berges, den ich heute besteigen werde. Stufen führen nach oben, ein Gipfelkreuz und ein Denkmal aus Stein markieren den höchsten natürlichen Punkt Mannheims. Ich rüste mich für den Aufstieg. Es ist die bislang einfachste Bergbesteigung meines Lebens.

Anstieg zum höchsten Punkt

Vielleicht ist es die Frühlingssonne, die mir wie den Eidechsen ungeahnte Energien verleiht. Vielleicht haben ich mir meine Kraft an diesem Tag besonders gut eingeteilt. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass der höchste natürliche Punkt Mannheims nur 114 Meter hoch ist. Mannheim hat Humor. Der Fernsehturm der Stadt ragt 121 Meter am Neckarufer in den Himmel. Ein richtiger Berg ist die höchste natürliche Erhebung Mannheims nicht. Sie nimmt sich selbst nicht ganz ernst.

Auf dem Gipfel bin ich ausnahmsweise nicht völlig erschöpft und genieße den Blick auf die Felder, die an den Dossenwald angrenzen. Ich nehme das Gipfelbuch aus einem Metallkasten und trage meinen Namen und das Datum ein. Den Kasten hat irgendwer mit fragwürdigen Aufklebern verziert. Einer davon trägt die Aufschrift »Kurpfälzer asoziale Wixxer«. Rechts und links von einem Wappen rauchen zwei Löwen fette Zigarren. Über dem Wappen sind die Umrisse eines Mountainbikers und eines Snowboardfahrers zu sehen. Ob es sich bei den »Kurpfälzer asozialen Wixxern« um einen selbstkritischen Verein handelt oder die Urheber des Aufklebers ein politisches Statement abgeben wollten, konnte ich nicht herausfinden.

Einen Namen hat die höchste natürliche Erhebung Mannheims übrigens nicht. Ich finde, sie hätte einen verdient. Wie wäre es mit dem »Monte Monnem Mini«?

Für jeden Mannheimer sollte ein Besuch auf dem Monte Monnem Mini zur Bürgerpflicht gehören. Für alle anderen ist er ein Beweis dafür, wie sympathisch die Stadt ist, die selbst dem unsportlichsten Wanderer einen Eintrag im Gipfelbuch gönnt. In diesem Sinne: Alla hopp, los geht’s – auf in den Dossenald!

Rundwanderung durch den Dossenwald

Land: Deutschland (Baden-Württemberg)

Anreise: Zum Dossenwald kommt man zum Beispiel vom Mannheimer Hauptbahnhof aus mit der S-Bahn. Die Haltestelle in der Nähe des Dossenwaldes heißt »Friedrichsfeld Süd«. Alternativ könnt ihr auch bis zur Haltestelle »Rheinau« fahren und von der anderen Seite in den Dossenwald laufen. Es gibt außerdem mehrere Parkplätze, falls ihr mit dem Auto anreist.

Gehzeit: Für mehrtägige Touren ist der Dossenwald definitiv zu klein, aber für eine Halbtages- oder Tagestour ist das Areal mehr als ausreichend. Meine Route war rund neun Kilometer lang. Ihr könnt die Strecke hier herunterladen:

Herausforderungen: Keine. Im Dossenwald ist es nicht gefährlich. Er eignet sich damit gut für eine gemütliche Schlenderrunde mit Kind und Kegel.

Höhepunkte: Eidechsen, Wildgehege, Sanddünen, Kiefern, höchste natürliche Erhebung Mannheims, Frühlingssonne

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