Pfälzerwald: Schlüsselwörter

Rundwanderung auf dem Leininger Klosterweg

Da hätte ich mir doch eine bessere Geschichte gewünscht, denke ich, als ich im Pfälzerwald vor dem Schlüsselstein stehe. Mindestens mal eine mittelalterliche Sage oder eine neuzeitliche Spukgeschichte. Irgendwas mit Außerirdischen wäre natürlich auch annehmbar.

Ich verschnaufe und beginne mit der Inspektion des Kulturdenkmals. Der graue Stein vor mir schimmert grünlich.

Mein Freund und ich sind seit rund zwei Stunden unterwegs. Das Buchenlaub vom Vorjahr knistert unter unseren Füßen. Auf den Höhenzügen des Pfälzerwalds schmeckt der knallblaue Frühlingshimmel wie ein erfrischendes Minzbonbon.

Von Klöstern ist auf dem Leininger Klosterweg nicht mehr viel übrig – nur ein paar alte Steine, Mauern und Tore gibt es noch. Es ist meine erste Wanderung im Leiningerland, einem gerade mal acht Kilometer breiten Streifen in der Nähe von Bad Dürkheim mit jeder Menge gut ausgeschildeter Wanderwege.

Wir schlendern über die Hügelwellen und federn über den Waldboden. Die Strecke gibt sich gelassen, ein geruhsamer, fast meditativer Pfad, der sich anfühlt wie ein ausgedehnter Spaziergang.

Der Schlüssel auf der Vorderseite des Steins ist gut zu erkennen. Die Gravur wirkt grob, als hätte der Steinmetz es eilig gehabt, sein Werk zu vollenden. Der Bart des Schlüssels, also seine Zinken, haben die Form eines Kreuzes.

Von Adelsgeschlechtern und Erbstreitigkeiten

Ich entdecke ein Infoschild. Der Text entpuppt sich als starkes Betäubungsmittel, das Kieferchirurgen als alternatives Anästhetikum beim Ziehen von Weisheitszähnen in Betracht ziehen sollten.

Ich lese: »Während der Regierungszeit des Papstes Kalixt II. …« Es gab einen Papst, der Kalixt hieß? Was ist denn das für ein Name? Ich schüttele mich und konzentriere mich wieder auf die Tafel: »Während der Regierungszeit des Papstes Kalixt II. (1119-1124) gründete der Leininger Graf Emich II. …« Also anscheinend hatten die alle seltsame Namen zu der Zeit. Fokus Jana!, sage ich zu mir. Fokus!

»… gründete der Leininger Graf Emich II. ein Augustiner Chorherrenstift.« Was genau ist ein Chorherrenstift?

Wer denkt sich diese Texte aus? Ignorieren kommt nicht in Frage. Ich bin doch kein Banause, kein Kulturignorant, dem völlig schnurz ist, welcher Adelige mit wem rumgemacht hat (was vielleicht doch wieder interessant wäre) oder wer einst auf dieser oder jener Burg hauste, bevor sie dann im Dreißigjährigen oder sonstirgendeinem Krieg wilden Schergen zum Opfer fiel. Besonders schlimm sind die Schilder der Waldlehrpfade, die mich auf meinen Touren immer wieder ausbremsen, ohne dass ich auch nur ein Jota lernen würde. Ein Infoschild reiht sich an das nächste und listet die Features von Bäumen auf (alternativ die von Vögeln oder anderen Tieren, die nie zu sehen sind). Aber die Waldlehrpfadbeauftragten vergessen, die beschriebenen Bäume zu markieren. Wenn ich Bäume schon an ihrer Rinde auseinanderhalten könnte, bräuchte ich keinen Lehrpfad …

Der Text auf der Schlüsselstein-Tafel formt weiter seine sadistischen Sätze: »Weil es direkt dem Papst unterstellt wurde, war der gesamte Grundbesitz, mit dem es vom Grafenpaar ausgestattet worden war, anerkanntes Kirchengut. Diese Ländereien gehörten bis dahin zum Lehen Heinrichs IV.« Wenigstens kenne ich den Namen Heinrich.

»Noch bevor er 1125 starb, herrschten Erbstreitigkeiten.« Ah, Streitigkeiten – vielleicht wird es jetzt spannend? Nein, leider nicht: »Indem die Leininger, die salische Vasallen waren, eigenmächtig zum Lehen gegebenes Land der Kirche unterstellten und die erbliche Vogtei darüber erlangten, blieben ihnen wichtige Verfügungsrechte erhalten, vor allem über dessen wirtschaftliches Potenzial, das mit grundherrschaftlichen Rechten gesichert war.« Was ist jetzt mit den Erbstreitigkeiten? Was will mir der Autor sagen? Ich will wissen, was es mit dem Schlüsselstein auf sich hat. Und eine gescheite Wandergeschichte lässt sich aus diesen Infos auch nicht zimmern.

Ich schleppe mich durch die Zeilen wie auf einen hohen Berg. Die Namen weiterer Adelsgeschlechter, noch mehr Jahreszahlen und Ortschaften tauchen auf und verknäulen sich zu einem unentwirrbaren Summsumm. Ich will durchhalten. Für euch! Für die Kulturgeschichte!

Vielleicht verbirgt sich am Ende des Textes doch noch irgendeine irsinnig spannende Information, die ich mit euch teilen kann. Meine Augen wandern unruhig über die Infotafel, die Wörter verschwimmen. Ich kann nicht mehr. Mein Kopfkino springt an und erlöst mich von der Tafelpein.

Geschichten aus dem Kopfkino

Wie wäre es mit dieser Version? In einem Kloster im Leiningerland befand sich einst eine geheime Kammer. Gefährlich war das Wissen, das darin verborgen lag. Also schlossen die Mönche den Raum, legten als Tarnung einige Felsen davor und schmolzen den riesigen Schlüssel zu den Toren der Kammer ein. Nur einer von ihnen wollte nicht, dass das Wissen endgültig verlorenging. Er schlug die Form des Schlüssels in einen Stein und stellte ihn unweit des Klosters auf. Irgendwann würde er damit den Schlüssel nachmachen und die Kammer wieder öffnen …

Vielleicht wäre ein Riese auch ein passender Protagonist? In uralten Zeiten goss er Schlüssel für die Schatztruhen des Riesengeschlechts, das im Pfälzerwald zu Hause war … Zumindest ein mysteriöses keltisches Zeichen, dessen Entschlüsselung bislang niemandem gelungen ist, könnte doch auf dem Stein zu sehen sein.

Die Sache ist letztlich ziemlich profan: Der Schlüsselstein markiert seit vielen Jahrhunderten eine Gemarkungsgrenze. Macht nichts, denke ich mir. Der Leininger Klosterweg hat ja noch mehr zu bieten – und immerhin gehört der Schlüssel auf dem Stein zum Heiligen Petrus – als Zugang zum Himmelreich und Verbindung zwischen Himmel und Erde. Und das ist doch ziemlich cool.

Schlüsselstein Leininger Klosterweg
Da steht er im noch kahlen Frühlingswald: der Schlüsselstein am Leininger Klosterweg. Das Kreuz an der Seite ist das Symbol von Petrus – der Schlüssel zum Himmelreich sozusagen.

Leininger Klosterweg

Land: Deutschland

Anreise: Der Ausgangspunkt der Wanderung, das Naturfreundehaus Rahnenhof, ist mit dem Auto erreichbar. Am Naturfreundehaus ist ein Parkplatz. Außerdem haben Hertlinghausen und Höningen – beide Orte liegen am beziehungsweise nicht weit vom Wanderweg entfernt – eine Busanbindung. Der Wanderweg lässt sich von den Haltestellen in wenigen Minuten zu Fuß erreichen.

Gehzeit: rund vier Stunde für 15,6 Kilometer (22. März 2020)

Herausforderungen: Der Leininger Klosterweg ist hervorragend ausgeschildert und weder besonders steil noch anspruchsvoll. Er verläuft fast nur auf gut begehbaren Waldwegen; die Steigungen sind sanft. Es gibt Dutzende von Bänken zum Ausruhen und jede Menge Rastplätze.

Höhepunkte: Teilstrecke auf dem Kamm des Kieskautbergs, Quellen, Schlüsselstein, Baumpilze, sandiger Waldboden

Falls ihr neugierig seid, was die Pfalz sonst noch so zu bieten hat: Auf »Sebb am Berg« finden sich Dutzende von Tourentipps für Rundwanderungen, und auf »Binas Pfalzliebe« könnt ihr pfälzische Schmankerl entdecken.

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4 Kommentare Gib deinen ab

  1. lecw sagt:

    Wiw wahr! Wir ärgern uns auch immer über diese zu detailierten, mit Fachsprache überfrachteten Infotafeln. Vielleicht sollten da Museumspädagogen ran? 😀

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    1. Jana sagt:

      Ja, irgendwie wäre ein Testleser vielleicht sinnvoll. Ich finde, dass das eine verlorene Chance ist, sich mit der Gegend, in der man unterwegs ist, auseinanderzusetzen.

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