Bibbulmun: Ahoi!

Ich bin froh, dass wir weder einen Wolf, noch eine Ziege, noch einen Kohlkopf über die Bucht paddeln müssen. Denn dann wird es kompliziert, weil der Wolf die Ziege zerfleischt und die Ziege am Kohlkopf nagt, und man daher ziemlich oft hin- und herpaddeln muss, bis alle in Sicherheit sind. Warum jemand einen Wolf im Gepäck hat, ist eine andere Frage.

Mein Freund, ich und unsere Rucksäcke sind an diesem Tag auf dem australischen Bibbulmun die einzigen Anwesenden, die zum anderen Ufer müssen. Die Aufgabe: Auf unserer Seite der Bucht ist nur ein Kanu. In ein Kanu passen maximal entweder ein Wanderer mit je einem Rucksack oder zwei Wanderer. Idealerweise stehen auf jeder Seite der Bucht gleich viele Kanus. Insgesamt gibt es sechs Kanus. Wanderer fressen keine Rucksäcke, mein Freund und ich sind einander friedlich gesonnen, die Rucksäcke können wir allein lassen, ohne dass sie sich etwas antun, paddeln können sie allerdings nicht.

Bäume und Meer

Seit anderthalb Monaten wandern wir auf dem Bibbulmun durch Westaustralien. Die kurze Bootsfahrt auf der Strecke von Walpole nach Denmark ist eine willkommene Abwechslung von der Wanderroutine. Mittlerweile haben wir Wälder durchquert, in denen ich einen steifen Nacken bekommen habe, weil die Bäume so weit in den Himmel ragen. Wir haben eine Nacht mit einem schnarchenden Vietnamkriegsveteranen verbracht. Auf die Brandung gestarrt, sind auf dem Tree Top Walk zwischen Baumwipfeln gewandelt, haben eine fünf Zentimeter lange Riesenwanze, – schabe oder so bestaunt, uns Dünen hinaufgeschleppt, den Sand aus den Schuhen geschüttelt und Salz von den Brillengläsern gewischt.

Jetzt also ein Boot. Es gibt eine alternative Route ohne Kanu am Strand entlang, aber die gilt nicht: Wer sich offiziell als Bibbulmun-Thruhiker, also als jemand, der den kompletten tausend Kilometer langen Marsch hinter sich gebracht hat, registrieren lassen will, muss paddeln. So will es die Bibbulmun-Stiftung.

Ich befürchte Übles: Untiefen, Strömungen, Schwärme giftiger Quallen, Skorbut, Riesenkraken, Seeungeheuer mit dem Kopf eines Kängurus und dem Schwanz eines Wals. Die Ausstattung des Kanus mit Rettungsbooten ist unzureichend.

Unerfahren als Matrose

Ich bin kein erfahrener Kanute. Ich wandere über Land, nicht über Wasser. Ein bisschen Gepaddel auf dem Neckar, der Lahn und der Ardèche qualifizieren mich nicht zum Matrosen. Immerhin weiß ich aus eigener Erfahrung: So ein Kanu kann kentern. Also lese ich die Sicherheitsinstruktionen auf dem Bootsverschlag sorgfältig durch. Bei Sturm soll man nicht paddeln. Den Rucksack soll man ausziehen. Schwimmwesten liegen bereit.

Die Bucht liegt still da. Das Wasser zittert vom Nieselregen und schwabbt schüchtern ans Ufer. Im Gras lauern Stechmücken. Ein Pelikan schaukelt vorbei. Meine Sorge, mit dem Kanu auf den Pazifik getrieben zu werden, war unbegründet.

Wir wuchten das quietschgelbe Boot aus dem Verschlag und lassen es zu Wasser. Ich ernenne meinen Freund zum Kapitän und mich zum ersten Offizier und Steuermann, trotz fachlicher Unkenntnis. Der Posten des Kochs und des Schiffsarztes muss wegen Personalmangel unbesetzt bleiben. Ich würde eine Flagge hissen, habe aber keine dabei.

Wir stechen in See, bewegen uns mit geschätzt 0,7 Knoten vorwärts. Am Ufer lassen wir die Rucksäcke zurück, die kleiner werden und auf einmal sehr einsam aussehen.

Geglückte Überfahrt

Zweihundert Meter sind es bis zum anderen Ufer. Ein bisschen schief gleiten wir über die Bucht. Ich will schon rufen Land in Sicht!, da prallen wir gegen die Uferböschung und walzen Schilfbüschel nieder.

Wir haben entschieden, ohne Rucksäcke in einem Boot überzusetzen. Dann mit je einem Kanu im Schlepptau wieder zurückzupaddeln, um anschließend mit den Rucksäcken in zwei separaten Kanus noch mal auf die andere Seite zu schippern. Wenn ich es recht überlege, ist das fast so kompliziert wie die Sache mit der Wolf-Kohl-Ziege-Überfahrt.

Bibbulmun: Walpole nach Denmark

Land: Australien

Anreise: Für uns war Walpole der Endpunkt der vorherigen Etappe auf dem Bibbulmun. Der Ort ist per Bus und mit dem Auto erreichbar.

Gehzeit: sieben Tage für 126 Kilometer (30. September bis 7. Oktober 2018, ein Pausentag in Peaceful Bay wegen Regens)

Herausforderungen: fast alles relativ lange Tagesetappen, Sanddünen, Anstieg auf den Mount Hallowell, Giftschlangen

Höhepunkte: Tingle Trees, Kanuüberfahrt, Seevögel, Strände, Felsen, Entchen am Campingplatz Peaceful Bay, Pelikane, Krebse, Delphin, Frösche, Orchideen, Regenbogen

3 Kommentare Gib deinen ab

  1. Habt ihr denn wenigstens eines der Kanus am Ufer, von dem ihr gekommen seid, zurückgelassen, damit die nächsten Wanderer auch hinüberkommen?

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    1. Jana sagt:

      Klaro, wie haben sogar zwei wieder zurückgepaddelt, sind also drei Mal über die Bucht 🙂

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      1. Ja, dreimal hab ich auch gezählt 😊

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