Die blondierte Dame unterhalb des Altars zückt das Handy, nimmt mit ein paar Schritten Abstand und rückt ihren Ehemann zurecht. Sie schiebt ihn ein bisschen nach links, damit er zwischen Goldglanz, Blumengestecken und pausbäckigen Englein gut zur Geltung kommt. Der Ehemann ist in Position, sie wirft einen Blick auf ihr Display, nickt beglückt und drückt ab. Andere schießen ein Selfie: die Mutter Gottes, das Jesuskind und ich.
Die Schwarze Madonna der Pilgerstätte Lluc lächelt milde gequält, harrt ansonsten aber stoisch in ihrer Nische aus. Sie hat seit ihrer Entstehung im 16. Jahrhundert schon einiges mitgemacht und schaut ein bisschen verkohlt und vermackt aus. Vielleicht ist sie wirklich ob des Leids auf der Welt über die Jahre schwarz geworden.
Ein Mädchen rubbelt an den nackten Metallfüßen der Figuren, die unterhalb der Madonna kauern. Es ist nicht die erste. Die Füße sind blankgestreichelt. Sie funkeln unter den langen fallenden Gewändern. Die Füße der Madonna sieht man nicht. Ihr Kleid ist zu lang. Ich bin neidisch, denn mir streichelt trotz entbehrungsreichen Wanderns kein Pilger die Füße. Neben der Schwarzen Madonna können Pilger gegen eine geringe Gebühr elektronische Kerzen einschalten.
Lluc: kulturelles Zwischenspiel
Die Gottesmutter samt Nachwuchs ist längst auf Instagram, Hashtag »marededeudelluc«, und ein Star des Wallsfahrtsortes, der als willkommenes kulturelles Intermezzo die Wanderroutine auf dem mallorquinischen GR 221 unterbricht. Die wenigsten kommen allerdings zu Fuß auf das auf etwa 400 Metern Höhe liegende Anwesen, sondern mit Autos oder Bussen, die als gestrandete Blechwale auf dem Parkplatz neben dem Gebäudekomplex schwitzen.
Der Abstieg zur Pilgerstätte Lluc vom Coll des Prat, der mit rund 1.200 Metern höchste Punkt der Route der Trockensteinmauern, war für mich ein Test in Gelassenheit. Ich habe ihn nicht bestanden. Auf dem Reitweg Voltes d’En Galileu folgt eine steile steinige Serpentine der nächsten.
Ich fühle mich wie in einer Endlosschleife, habe Wackelpuddingbeine, schimpfe und fluche. Die Schwarze Madonna hält sich hoffentlich die Ohren zu. Immerhin müssen wir keinen Eisklotz ins Tal schleppen. Der Reitweg führt zu einer Reihe von Eiskellern, in denen, ihr ahnt es, früher Eis gelagert wurde. Die Eiskeller sehen aus wie Mammutfallen oder überdimensionierte prähistorische Schwimmbäder.
Mein Freund bezichtigt den Wanderführer der arglistigen Täuschung, da er uns eine detailgenaue Beschreibung der Abstiegsqualen vorenthalten hat. Ich überlege, ob sich mit Zeltplane und -gestänge eine Art Gleitschirm basteln ließe, mit dem ich ins Tal segeln könnte. Vielleicht wäre es auch möglich, ein Schaf zu fangen und darauf hinunter zu reiten. Ist ja immerhin ein Reitweg. Dann sehe ich vom Berghang aus, noch gut anderhalb Stunden Fußmarsch entfernt, die Wallfahrtsstätte Lluc: Big Business in der Serra de Tramuntana. Souvenirläden, Cafés, Restaurants und ein Übernachtungsbetrieb, der, würden die Gäste nicht in ehemaligen Mönchszellen nächtigen, ihr Bett selbst beziehen und Heftchen mit Psalmen ausliegen, durchaus Bettenburgenpotenzial hätte.
Mein Freund und ich gönnen uns eine Nacht in der Pilgerstätte, auch wenn uns das Schild an unserer Zimmertür etwas einschüchtert. »Die Verwaltung behält sich das Recht vor, gegebenenfalls ein Zimmer zu räumen, sofern sie dies aus moralischen oder hygienischen Gründen für notwendig erachtet.« Wir schwören, uns keinerlei moralischer Verfehlungen schuldig zu machen, duschen sofort, damit die Wallfahrtsstättenleitung keinen Grund zu hygienischen Beanstandungen hat, und machen uns auf den Weg zum Abendbuffet.
Heuschrecken am Buffet
Lauchsuppe, Paella, Spinatkroketten, Patatas Bravas, Kichererbsensalat, Queso Manchego, Tintenfischringe, ein Salat mit Innereien, Oliven. Die Route der Trockensteinmauern macht hungrig. In einem weiten Säulensaal mit fröhlich plappernden Spaniern im Rentenalter und ein paar anderen Wanderern fallen wir heuschreckengleich über das Buffet her.
Am nächsten Morgen machen wir uns auf den Weg nach Pollença, dem Endpunkt unserer Tour durch die Serra de Tramuntana, statten der Schwarzen Madonna, um die die ersten morgendlichen Pilger tanzen, einen Besuch ab, und treffen an der Font Coberta eine Kollegin von ihr. »Heiliges Wasser« gibt es laut Reiseführer an der Quelle. An der Wasserstelle, die am Ende eines langen Steingangs am Blechwalparkplatz liegt, sind mein Freund und ich allein. Nur ein Vogel nippt an einer heiligen Pfütze. Ich drehe den Wasserhahn auf, probiere, fülle meine beiden Flaschen und schaue zu der Nische, von der aus eine weitere Madonna und mit ihrem Sohnemann das Becken überwacht. Ich warte auf ein Wunder. Oder ein Zeichen. Da nichts passiert, deute ich das als Aufforderung der Madonna, die Biege zu machen. Ich verabschiede mich und freue mich schon auf die Rast am Mittag: Denn dann mache ich mit dem Wasser heiliges Müsli.
Mallorca – GR 221 (Route der Trockensteinmauern): Biniaraix – Coll des Prat – Lluc
- Land: Spanien (Mallorca)
- Anreise: Etappen 10 und 11 in Hartmut Engels »Mallorca: GR 221, Route der Trockensteinmauern«. Einen Teil der Etappe zehn haben wir am Vortag bereits hinter uns gebracht. Den Abstecher zum Refugi Tossals Verds haben wir weggelassen und sind direkt nach Lluc gelaufen.
- Gehzeit: ca. 8 Stunden für rund 18 Kilometer (2. April 2018)
- Höhepunkte: Blick auf die beiden Stauseen Mallorcas, Schafe auf der Hochebene Les Cases Velles, Rast am Stausee, Eiskeller, Dusche im Zimmer in Lluc, Schwarze Madonna in Lluc
- Herausforderungen: Der oben im Text erwähnte Abstieg vom Coll des Prat ist nervenzehrend; die Strecke ist lang, aber recht gut ausgeschildert und ohne Kraxelei begehbar.
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