Vorwort
Eine Wanderhose ist zum Wandern da. Nicht zum Sitzen. Sonst hieße sie Sitzhose.
Alte Wandererweisheit
Ich bin im Besitz von Spezialbekleidung, die eigens für das Langstreckengehen konzipiert und produziert wurde. Dazu gehört eine Trekkinghose mit umfassender Sonderausstattung: Stauraum (viele Taschen), AirConditioning (herausnehmbares Vlies) und Sonnenverdeck (Beine, die sich mit einem Reißverschluss abtrennen lassen).
Auf der Teststrecke
Ich habe die Hose auf mehreren Wanderungen ausgiebig getestet: Man kann damit auf einem Stein sitzen, im Zelt liegen, im Wald marschieren, durchs Gebüsch streifen und über eine Wiese schlendern. Sie schützt vor dem Kältetod, reduziert die Wahrscheinlichkeit für Zeckenbefall oder Schlangenbiss und hält UV-Strahlung ab. Die Werbung hat nicht zu viel versprochen. Outdoor-Abenteuer sind mit so einer Hose garantiert. Nur rausgehen muss man noch.
Andere Fernwanderer erkennen ihre Artgenossen an der Ausrüstung. Arzt ohne Kittel, Richter ohne Robe, Donald Trump ohne Fönwelle – da scheint was faul. Während Mallorquiner gerne in Sandalen, Flipflops oder Turnschuhen über den GR 221 tänzeln, schmückt sich der Fernwanderer in der Regel mit einem Outfit, mit dessen Preis ein maßgeschneiderter Smoking nur schwer mithalten kann.
Aber mit dem Smoking kann man nicht so gut auf einem Stein sitzen. Und der GR 221 ist voller Steine: Letztlich ist Mallorca eine einzige große Trockenmauer. Falls jemand herausgefunden hat, wie viele Kilometer Trockenmauer es dort gibt, möge er es mir sagen. Ich vermute, dass das Trockenmauernbauen vor der Erfindung des Tourismus eine beliebte mallorquinische Freizeitbeschäftigung war:
»Was machen wir heute?«
»Weiß auch nicht. Wir könnten noch eine Trockenmauer bauen?«
Und wegen der vielen Steine ist der GR 221 für so eine Hose wie gemacht.
Klaffende Wunde
Kurz vor Estellencs, der dritten Etappe unserer Tour auf der Route der Trockensteinmauern, machen mein Freund und ich Pause. Wir haben uns die ersten steilen Aufstiege hochgeschleppt, die ehemalige Klosteranlage La Trapa passiert und am Aussichtspunkt d’en Josep Sastre aufs Mittelmeer gestarrt.
Ich lasse mich auf einem Felsbrocken nieder und höre, wie Stoff reißt. Am Po wird es luftig. Die Hose ist futsch. Diagnose: offene Wunde. Heilungschancen: gering.
Das umliegende Gewebe ist dünnhäutig: bleibende Schäden vom vielen Steinehocken. Ist halt keine Sitzhose, denke ich, und binde mir einen Pullover um die Hüften, um das Malheur zu kaschieren. Den Hüftverband trage ich zwei Tage lang. Vorher liegt kein Hosengeschäft am Weg und hinter den zahlreichen Steineichen tauchen keine fliegenden Hosenhändler auf.
Altstadtshopping
In der Altstadt von Valdemossa betrete ich, immer noch hüftverbunden, ein Damenbekleidungsgeschäft, das nur Hosen ohne Trekkingsonderausstattung führt. Ich kaufe ein schwarzes leggingsähnliches Stück und beerdige meine Trekkinghose im nächsten Mülleimer. Dabei fühle ich mich, als müsste ich mein Mutterschiff zurücklassen, um von nun an in einer völlig unterdimensionierten Rettungskapsel durchs lebensfeindliche All zu treiben.
Die Leistungsfähigkeit der neuen Hose überpüfe ich auf den übrigen Etappen des GR 221: Man kann damit auf einem Stein sitzen, im Zelt liegen, im Wald marschieren, durchs Gebüsch streifen und über eine Wiese schlendern. Und man kann damit durch die Stadt laufen, ohne dämlich auszusehen. Gelobt sei mein neues Beinkleid! Hoseanna!
Mallorca – GR 221 (Route der Trockensteinmauern): Port d’Andratx – Sant Elm – Ses Fontanelles – Estellencs – Banyalbufar – Esporles – Valdemossa
- Land: Spanien (Mallorca)
- Anreise: Mit dem Flugzeug von Stuttgart aus nach Palma de Mallorca. Vom zentralen Busbahnhof der Innenstadt fährt ein Bus nach Port d’Andratx, wo der GR 221 beginnt. Bei der Strecke Port d’Andratx bis Valdemossa handelt es sich um die ersten sechs Etappen aus dem Buch »Mallorca: GR 221, Route der Trockensteinmauern«.
- Gehzeit: ca. 4,5 Tage für rund 57 Kilometer (27. bis 31. März 2018)
- Höhepunkte: Roter Pass beim Abstieg nach Sant Elm, Blick auf die Insel Sa Dragonera, Eiscafébesuch in Sant Elm, Aussichtspunkt d’en Josep Sastre, Rast mit frisch abgefülltem Quellwasser an der Font de la Vila hinter Banyalbufar, mittelalterlicher Stadtkern von Valdemossa
- Herausforderungen: Kletterstelle hinter Sant Elm (kraxelig), Aufstieg hinter der Finca Ses Fontanelles (schweißtreibend), geeigneten Wildcampingplatz finden, Orientierung nicht verlieren (die ersten Etappen des GR 221 sind bislang kaum beschildert)
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