Canterbury: Kopfgeldjagd

Der Vogel hat sich nichts zu Schulden kommen lassen, außer dass er wahrscheinlich ausgestorben ist. Zehntausend neuseeländische Dollar gibt es für Hinweise, die zur Ergreifung des South Island Kōkako führen. Aber die Lappenkrähe, wie der Vogel auf Deutsch heißt, ist nirgends zu sehen.

Das Plakat am Eingang zum Wasserfallwanderweg in Hanmer Springs zeigt ein Bild des Kōkako: dunkles grau-blaues Federkleid, zwei leuchtend orangefarbene Hautlappen unterhalb des Schnabels. Angeblich ist er der seltenste Vogel des Planeten.

Eine Stiftung sammelt Spuren

Ein paar wackere Fans wollen sich nicht damit abfinden, dass der Kōkako ausgestorben sein könnte. Ihr Ziel: Überlebende der Kōkako-Population ausfindig machen, beschützen und ihnen ein bisschen bei der Familienplanung unter die Arme greifen. Ein hehre Aufgabe. Sie warten seit Jahrzehnten auf ein Lebenszeichen, sehnen sich nach dem Flügelschlag des Kōkako in den Wäldern. Für die Suche nach dem Vogel haben die Fans eigens eine Stiftung gegründet. Sie kümmert sich darum, Hinweisen und Spuren zu dem Vermissten nachzugehen.

Doch bislang bleibt der Vogel verschollen. Es spricht einiges dafür, dass die Menschheit ihm den Garaus gemacht hat und die einzigen verbliebenen Exemplare im Museum ihr Dasein fristen: als ausgestopfte traurige Erinnerungen.

Ausgestorben … Oder doch nicht?

Neuseelands Vögel haben es eben schwer: Landwirtschaft und eingeschlepptes Getier wie Possums und Frettchen machen ihnen zu schaffen. Trotzdem gibt es Hoffnung für den Kōkako. Die neuseeländische Südinseltakahe galt mehr als fünfzig Jahre lang als ausgestorben, bis sie Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts wiederentdeckt wurde. In einer abgelegenen Bergregion spazierte der flugunfähige Vogel nach wie vor umher.

Aber der Kōkako? Wir treffen eher den Yeti, denke ich auf dem Weg zum Dog-Stream-Wasserfall. Gleichzeitig bin ich überzeugt, dass man nicht zu früh aufgeben sollte. Wissenschaftler haben den Bergbilchbeutler und den Quastenflosser wiederentdeckt. Vielleicht gelingt ihnen irgendwann der Kōkako-Clou.

Ich werde mich also an der Suche nach dem Vermissten beteiligen. Zehntausend Dollar würden der Reisekasse guttun. Und wenn er sich im dichten Wald um Hanmer Springs herumtreiben soll, umso besser. Jetzt bin ich ja eh hier.

Ich stiere ins Gestrüpp, während ich mich Richtung Wasserfall den Berg hinaufschleppe. Raschelt es nicht im Laub? War da nicht ein verdächtiger Schatten? Könnte der Vogel nicht dort im Moos gewühlt haben? Hat er auf dieser Wurzel gesessen? Oder in diesem Bächlein gebadet? Wie sieht Kōkako-Kacke aus? Höre ich ihn gerade flöten?

Auf dem schmalen steilen Pfad kommen meinem Freund und mir immer wieder Touristen entgegen. Wenn dem Kōkako hier mal nicht zu viel los ist! Argwöhnisch beäuge ich die anderen Wanderer. Vielleicht hat einer von ihnen längst einen Kōkako zwischen Wurststulle und Regenjacke gepackt, um ihn aus dem Wald zu schmuggeln.

Ein bisschen wie Schwarzwald

Hanmer Springs ist ein beliebtes Urlaubsziel. Das Städtchen wirkt ein bisschen wie ein Luftkurort im Schwarzwald: Berge wickeln sich um leuchtende Wiesen, Wanderstrecken schlängeln sich die Hügel empor, es gibt ein Thermalbad und den obligatorischen Minigolfplatz. Und zumindest die theoretische Chance auf den Kōkako.

Während mein Freund und ich kleine Wasserläufe queren, überlege ich, mich für ein paar Tage im Wald von Hanmer Springs zu verschanzen und mich auf die Lauer zu legen: Wie cool wäre das, wenn ich diesen Vogel finden würde? Bestimmt würde mich die Queen zum Ritter schlagen und ich würde Ehrenbürger von Hanmer Springs. Mein Freund schlägt vor, einen Tui zu fangen und ihn als Kōkako zu verkleiden. Wir würden die weißen Federbüschel am Hals vom Tui orange anmalen und ein verschwommenes Foto schießen. Das gäbe den Vogelsuchern neue Hoffnung.

Doch bevor wir einen Tui fangen können, stehen wir vor dem Wasserfall, dem Ziel der Wanderung. Einundvierzig Meter stürzt er sich in die Tiefe. Tropfen schweben in der Luft. Frische Luft kommt uns entgegen, als würde man an einem Sommertag die Tür zum Keller öffnen.

Immerhin haben wir den Wasserfall gefunden, denke ich. Und wir sind ja noch ein paar Tage in Hanmer Springs. Wer weiß, was uns noch über den Weg läuft?

Hanmer Springs: Über den Woodland-Walk, Timberlands Trail und Joliffe Saddle Track zum Dog-Stream-Wasserfall und zurück

Land: Neuseeland (Südinsel)

Anreise: Hanmer Springs ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht erreichbar. Es gibt aber private Shuttle-Busse, die das Örtchen anfahren. Vom Ortskern aus könnt ihr loslaufen. Wenn ihr die Tour verkürzen wollt und ein Auto habt oder euch jemand mitnehmen kann, könnt ihr auch direkt am Eingang zum Wasserfallwanderweg starten. Dort ist ein Wanderparkplatz, den ihr mit dem Auto erreicht.

Gehzeit: Fünf Stunden für rund elf Kilometer und etwa tausend Höhenmeter (Hin- und Rückweg)

Herausforderungen: Es geht von Hanmer Springs aus fast kontinuierlich bergauf, zum Teil ist der Weg steil. Einige Male müsst ihr Treppen steigen. Die Höhenmeter machen den Weg anstrengend. Ihr müsst ein paar kleinere Wasserläufe queren. Bei Regen ist der Weg rutschig.

Wenn ihr den Eingang zum Wasserfalltrack gefunden habt, ist die Orientierung einfach. Bis dahin braucht ihr vom Dorf aus eine Karte und/oder GPS, weil es in Hanmer Springs ziemlich viele verschiedene Routen gibt, die sich häufig auch noch mit den Mountainbiketracks kreuzen.

Höhepunkte: weite Wiesen am Woodland-Track, Flachspflanzen, Teich mit Enten, Dog-Stream-Wasserfall, Fliegenpilze

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