Mir war schnell klar, dass Dwellingup in die Kategorie von Ort gehört, wo man nicht gewesen sein muss. Statt in Sydney Frappuccino zu trinken, würde ich zwei Tage in einem Kuhkaff in Westaustralien abhängen, in dem noch nicht mal Kühe grasten.
Unter anderen Umständen hätte ich dort eine Pinkelpause gemacht, vielleicht noch einen Kaffee an der Tanke geholt. Dann hätte ich den Namen des Ortes vergessen und mich nie wieder an Dwellingup erinnert.
Spannend wie ein Testbild
Dwellingup war so interessant wie ein Testbild. Niemand machte ein Foto, es nieselte. Am Straßenrand standen zwei Waldarbeiter und beguachteten einen Baum. Ab und an ruckelte ein Truck durch den Ort.
Der Chronist von Dwellingup tat mir leid. Es musste sich dabei um einen von Schimmelpilzen zerfressenen Schreiberling handeln, der vor einem leeren Blatt sitzt und nur selten eine Notiz macht:
21. August: Fast wurde ein Baum gefällt. Zwei Bibbulmun-Wanderer erreichen das Dorf.
Was ist passiert? Nichts.
In Dwellingup ist eben noch nie etwas weltgeschichtlich Bedeutsames passiert. Und wahrscheinlich wird sich das auch nie ändern. Im unwahrscheinlichen Fall eine Alieninvasion könnte Dwellingup der letzte Hort der ums Überleben kämpfenden Menschheit werden, weil die Außerirdischen keinen Bock haben, mit ihrem schicken Raumschiff in diesem abgelegenen Niemandsland zu landen.
Auf dem Ortsschild steht: Where trails meet. Zu deutsch: wo sich (Wander-)wege kreuzen. Der Bibbulmun und der Munda Biddi Track verlaufen durch Dwellingup. Der Munda Biddi ist ein Fahrradweg, der Bibbulmun ist der Fernwanderweg, auf dem mein Freund und ich gut zwei Monate lang durch die westaustralische Wildnis gestreift sind. In einem Dorf, das niemand kennt, kreuzen sich also zwei Wege, die keiner kennt.
Der schönste Ort des Universums
Trotzdem ist Dwellingup der prächtigste Ort auf der Südhalbkugel, wenn nicht sogar im Universum. Ich habe nur etwas Zeit gebraucht, um das zu erkennen.
Nach dreizehn Tagen im australischen Busch war das kleine Dorf der erste entfernte Außenposten der Zivilisation. Seit dreizehn Tagen keine Dusche, kein Bett, nichts als Instantnudeln und Haferflocken.
Die letzte Tagesetappe nach Dwellingup hatte sich gedehnt wie ein Nachmittagskaffee mit unliebsamen Verwandten: schnurgerade und flach an einer alten Bahnstrecke entlang, Baum an Baum.
Dann lag es endlich vor mir: das Paradies, versteckt zwischen Blumenkästen und Parkplätzen. Wen kümmerte es, dass das WiFi im Besucherzentrum an diesem Tag nicht so recht funktionierte? Dass sich unsere Cabin auf dem Campingplatz nur schlecht heizen ließ? Dass in Dwellingup keine Kathedrale, kein Wolkenkratzer und kein Colosseum steht? Wo sonst läuft im Pub bitteschön Werbung für Entwurmungsmittel im Fernsehen?
Unser Paket mit Wechselkleidung wartete am Campingplatz auf uns. Mit sechs Eiern, sechs Scheiben Käsetoast und einer leicht verkohlten Fertigpizza beendeten wir in orgiastischer Euphorie dreizehn Tage streng rationierter Kost.
Für zwei Tage war der Dorfladen, unser Einkaufszentrum. Die Pizza im Pub unsere Haute Cuisine. Das Heimatmuseum unser Louvre. Was gab es Spannenderes als alte Zeitungen? Ich las, wie das Dorf 1961 fast komplett niederbrannte. Und wie im Zweiten Weltkrieg Kriegsgefangene in der örtlichen Holzindustrie schufteten und sich mit dem harten Stämmen der gewaltigen Jarrah-Bäume abmühten.
Ich bereue noch heute, dass wir nicht länger geblieben sind. Wir haben den Harry-Potter-Abend verpasst. Die Frau im Besucherzentrum hatte dafür schon nach passenden Stücken aus dem Museumsfundus gesucht. Ich saß auf dem Sofa, vor mir ein Kaffee aus dem Automaten. Das WiFi lief wieder, und ich vergrub mich nach tagelangem Internetentzug in der Onlinewelt, während die Frau nach einem Kessel wühlte.
Für einen Cafébesuch oder eine Fahrt mit der kleinen historischen Eisenbahn blieb keine Zeit. Nach nur zwei Nächten brachen wir auf zur nächsten Bibbulmun-Etappe. Ade, mein kleines Dwellingup, ade!
Falls ihr mal in der Gegend seid: Bleibt ein bisschen länger. Und lauft vorher dreizehn Tage durch den Busch. Dann wollt ihr nie wieder weg.
Bibbulmun: Kalamunda bis Dwellingup
Land: Australien
Anreise: Mit dem Flugzeug nach Perth, von dort mit dem Bus nach Kalamunda.
Gehzeit: 13 Tage für 211 Kilometer 9. bis 21. August 2018)
Höhepunkte: das Besucherzentrum in Dwellingup, die australische Tier- und Pflanzenwelt, Begegnung mit Joel
Herausforderungen: fader letzter Abschnitt nach Dwellingup, nächtliche Kälte
Mehr über die Strecke Kalamunda bis Dwellingup lest ihr hier.
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