Australien ist ein Einwanderungsland. Das haben sich auch die Tausendfüßler gedacht und sind aus Portugal nach Down Under gekommen. Es gab schon einheimische Tausendfüßler, aber wie so oft in der Geschichte kümmert das die europäischen Einwanderer wenig, wenn es darum geht, Land in Besitz zu nehmen. Und wie anderes eingeschlepptes Getier hat der portugiesische Tausendfüßler in Australien keine natürlichen Feinde. Er vermehrt sich ungezügelt und zieht hordenweise durch Australien. Das geht den Australiern ziemlich auf den Keks, die ihre Schlafzimmer nur ungern mit den Krabbelwesen teilen wollen. Sogar für ein Zugunglück sollen die Füßler verantwortlich sein. In Perth hatten sie es sich in Massen auf den Gleisen gemütlich gemacht, wurden von herandonnernden Zügen zermatscht und haben – wahrscheinlich aus Rache – so viel Tausendfüßlerinnereienglibber hinterlassen, dass ein Zug entgleist ist.
Die Tausendfüßler wären mir ziemlich schnuppe, wenn sie nicht eine der Bibbulmun-Hütten belagern würden, in der mein Freund und ich unser Nachtlager aufschlagen wollen.
Sand zwischen den Zehen
Wir kommen gegen Mittag in Muttonbird an. Es ist unser vorletzter Tag auf dem Track, bis Albany sind es nur noch rund 25 Kilometer. Der Pazifik hat uns in den vergangenen Tagen begleitet. Ich habe Sand zwischen den Zehen. Surfer, schwarze glänzende Käfer auf einer azurblauen Wiese, warten in der Brandung auf die nächste Welle. In der Ferne sind vom Track aus dünn die Fontänen der Wale zu sehen, die an der Küste entlangtauchen.
In der Hütte ruhen Dutzende Exemplare der Füßler auf den Wänden, dem Boden und den Dachbalken. Sie dösen, sind friedlich.
Noch.
Es macht Pling. Ein Tausendfüßler fällt von der Decke. Ein zweiter. Und noch einer. Mit einem hellen metallischen Ton schlagen sie auf dem Holz auf. Es regnet Tausendfüßler. Zu den sieben Plagen ist eine achte hinzugekommen.
Sie ziehen in Karawanen aus dem Busch gen Hütte, eine Armee, bewaffnet mit Stinksekretdrüsen. Zielstrebig krabbeln sie auf ihren dünnen Beinchen einmal quer durch die Hütte. Eine der Wände scheint ihr Versammlungsort zu sein. Dort klumpen sie, streichholzlange Dämonen, und wackeln mit ihren Fühlern.
Denkst du, die haben einen Plan?, frage ich meinen Freund.
Er zuckt mit den Schultern.
Widerstand ist zwecklos
Uns ist klar, dass wir Widerstand leisten müssen. Sonst fallen die vielbeinigen Jagdbombergeschwader nachts von der Decke auf unseren Schlafsack, kriechen durch unsere Nasenlöcher direkt in unser Gehirn und manipulieren an unserem Cortex herum. Oder legen Eier in uns. Oder fressen uns von innen auf.
Okay, wahrscheinlich übersteigt das die Leistungsfähigkeit der Füßler. Ich will aber kein unnötiges Risiko eingehen. Also kehre ich. Mit dem Hüttenbesen schubse ich die Füßler von der Liegefläche auf den Hüttenboden, wo sie im Rindenmulch versinken. Wenn ich sie anstubse, kringeln sie sich und stellen sich tot.
Zunächst.
Die Plagegeister sind zäh und treten alle erneut ihren langen Marsch ins gelobte Tausendfüßlerland an. Jetzt krabbeln sie senkrecht die Bodenplatten hoch, zurück zur Liegefläche. Mein Freund befördert sie, einen jeden einzeln, mit einem Stöckchen auf den Rücken des Hüttenlogbuchs und trägt sie aus der Hütte heraus.
Das macht er an diesem Nachmittag rund siebenhunderachtunddreißig Mal.
Es nützt nix. Die Füßler strömen weiter in die Hütte. Einige kommen aus Richtung Wassertank, andere ziehen über den Wanderpfad, die nächsten Nomaden kämpfen sich Schritt für Schritt vom Klohäuschen in die Hütte. Es ist ein krabbelnder Tsunami.
Füßlerfluten
Wir bauen in der Hütte unser Innenzelt auf, um uns vor den Füßlerfluten zu schützen. Nachts stürzen sie weiter von der Decke. Beim Einschlafen höre ich sie leise Yippie schreien.
Am nächsten Morgen liegen ein paar Füßler auf dem Zelt, nur einer hat es hinein geschafft. Ich schnippe ihn vom Schlafsack meines Freundes nach draußen, denn ich möchte nicht, dass der Füßler es doch noch in sein Gehirn schafft.
Ich trippele zwischen den Füßlern hindurch zu meinen Schuhen, schüttelte sie zur Sicherheit aus und versuche bei meinen Morgenbesorgungen keine Füßler zu zertreten. Sie knirschen unangenehm unter den Schuhen.
Was ich dann sehe, überzeugt mich, dass die Füßler für Wanderer nicht viel übrig haben. Sie haben unser Zelt vollgekackt. Unser seidenweißes Innenzelt hat braune Sprenkel. Vielleicht ist es auch Füßlerpipi. Auf jeden Fall ist es irgendwas, was aus den Füßlern herauskommt. Falls ihr also demnächst in Muttonbird übernachtet, baut besser auch das Außenwelt auf. Das ist abwaschbar.
Bibbulmun: Denmark bis Albany
Land: Australien
Anreise: Denmark ist von Albany aus mit dem Bus erreichbar.
Gehzeit: fünf Tage für 85 Kilometer (11. bis 15. Oktober 2018)
Herausforderungen: Die Etappe gehört zu den leichteren auf dem Bibbulmun. Es gibt keine größeren Steigungen. Der sieben Kilometer lange Strandabschnitt von Torbay nach Muttonbird kann bei schlechtem Wetter zu einer Herausforderung werden, da man dann durch tieferen Sand laufen muss. Ein kleiner Abschnitt am Strand ist außerdem felsig, man muss ein bisschen kraxeln. Wenn man Pech hat, ist die Torbay-Bucht geflutet. Dann heißt es: durchs Wasser waten oder Umweg in Kauf nehmen.
Uns haben an einigen Hütten die Stechmücken zu schaffen gemacht.
Höhepunkte: Pelikane an Pelican Point, Tannenzapfenechsen, Blick auf Steilküste und den Ozean, mit nackten Füßen durch den Sand laufen
Ja, isser den nun geschafft,
die Bimbelmaus ?
Seid ihr Dauerzweibeiner auch
a) geschafft
b) abgeschafft
c) shuffelnd
d) im flow ???
Sag dem langhaarigem Zeltnachbar, dass er und seine Erdung hier vermisst werden.
Ach ja:
Außentemperatur 0,5 C; Sonne: nix
Zeit fürn Weihnachtsbaum 🎄
Keep on walking,
Martin von der Sofacouch
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Die Bibbelmaus ist erlegt, mittlerweile sind wir in Neuseeland. 🙂 Die Botschaft wird überbracht. Der Zelt Nachbar ist vor allem langbärtig. Außentemperatur hier: 18 Grad, morgen wärmer.
Liebe Grüße!
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