Nicht schon wieder ein Fluss. Nicht nochmal ein nasses, unüberwindbares Hindernis mitten im Nirgendwo. Das hatten wir schon.
Ein Tobsuchtsanfall in Norwegen
Vor Wut habe ich damals einen Stein getreten. Der Stein konnte nichts für das schlechte Wetter in Norwegen, aber irgendjemand musste zur Rechenschaft gezogen werden. Ich bekam einen Tobsuchtsanfall, stampfte mit den Füßen und verfluchte die norwegische Hardangervidda, den blöden Fluss und überhaupt alles andere auf der Welt – so ungerecht fand ich es, dass der Fluss uns nicht rüberlassen wollte.
Gar so schnell wollten mein Freund und ich damals aber nicht aufgeben. Wir machten einen Test, schleppten einen Felsbrocken herbei, der so schwer war, dass wir ihn kaum heben konnten, und warfen ihn in die Gicht. Wie eine Haferflocke auf Speed tanzte er auf den Stromschnellen davon.
Der Fluss versperrt den Weg
Meine Verzweiflung war gewaltig und so wanderten wir noch am Ufer entlang, um eine andere Stelle zum Furten zu finden. Vergebens. Meine Idee, eine Brücke zu bauen, lehnte mein Freund wegen angeblicher Inkompetenz unsererseits auf diesem Gebiet ab. Abwarten wollten wir auch nicht, das Essen ging uns aus, und noch mehr Regen kündigte sich an. Der Pegel würde eher nicht sinken.
Wir mussten zweieinhalb Tage zur nächsten Straße zurückmarschieren. Genützt hat mein Wüten nichts.
Seitdem sind ein paar Jahre ins Land gezogen. Ich habe aus dem Vorfall gelernt und mich seitdem in Gelassenheit geübt. Ich raste nur noch aus, wenn die Bahn zu spät kommt oder ein Paket verloren geht. Ansonsten bin ich ein Muster in emotionaler Selbstkontrolle.
Campingplatz auf der anderen Seite
Ich bleibe also ruhig, obwohl mir schleierhaft ist, wie ich über diesen neuseeländischen Fluss kommen soll. Der Campingplatz liegt auf der anderen Seite des Fox River in einem weiten Felsüberhang, genannt Ballroom.
Nasse Füße scheuen wir nicht. Der Inland Pack Track im Paparoa-Nationalpark an der neuseeländischen Westküste verläuft teilweise im Fluss. Nicht am Fluss. Im Fluss. Durch eine Schlucht. Kiesbänke aus kopfgroßen Steinen unterbrechen das Fußbad nur kurz.
Nach starkem Regen sitzt man dort fest, eingeschlossen vom Wasser. Gutes Wetter ist Bedingung, um den Inland Pack Track unbeschadet zu überstehen.
Durch fast hüfttiefes Wasser sind wir an diesem Tag schon gewatet, aber an diesen Stellen gab es kaum Strömung. Hier bricht sich das Wasser durch eine Kurve, sprudelt und rauscht zwischen den Wänden der Schlucht. Ein Fels spaltet den Fox River, das Wasser schimmert in dunklem Grün – zu tief für uns.
Wir studieren die Wanderkarte, suchen die Böschung ab, klettern über rutschige Wurzeln, wuchten uns und die Rucksäcke über den Fels und wagen an anderer Stelle eine Schritt in den Fluss, um letztlich doch zu resignieren.
Doch keine Nacht unter Felsen?
Die Hosen kleben an der Haut, das Leder der Schuhe hat sich erneut vollgesaugt, von den Wanderstöcken perlt das Wasser. Ansonsten haben wir nichts erreicht und entscheiden uns für Plan B: einfach irgendwo am Weg zelten und nicht unter einem supercoolen, absolut sehenswerten, abgefahrenen Felsüberhang.
Ich atme tief ein und bleibe weiterhin ruhig, wettere nicht gegen das Schicksal. Wir laufen auf unseren aufgeweichten, schweren Füßen wenige Minuten weiter, als ich in eine Tree Nettle stürze. Das ist ein fieses neuseeländisches Gewächs (siehe dazu den Blogbeintrag Farnküken), das seine Stacheln in meinen Handrücken bohrt, der daraufhin am nächsten Tag rundlich anschwellen wird. Ich verfluche die Pflanze nur ein kleines bisschen, mein Kopf färbt sich für höchstens eine Minute rot, ich schnaufe leise, fast ist es nur ein Rascheln.
Dann kommt das Schild, ein höhnischer Fingerzeig. Das Schild weist zum Felsüberhang, ein Stück den Fluss wieder hinauf. Unterhalb der für uns unpassierbaren Stelle, finden wir die Furt.
Jetzt ist es ein guter Zeitpunkt, mich ein wenig aufzuregen. Das Schild sieht nur, wer aus der anderen Richtung kommt. Die Dame im Büro des Department of Conversation, die wir zu den Gefahren des Inland Pack Tracks interviewt haben, hat uns empfohlen, gegen den Uhrzeigersinn zu laufen und die unklare Beschilderung an der Abzweigung zum Felsüberhang mit keinem Wort erwähnt. Ich will lamentieren und Beschwerdebriefe schreiben. Beinahe hätte ich versucht, auf einem Isomattenluftkissenboot den Fluss zu überqueren. Oder wäre geschwommen. Außerdem hätte ich, vor lauter Furtsucherei völlig erschöpft, kopfüber in die Tree Nettle stürzen können, dann wären meine Augenlider zugeschwollen, ich wäre für mehrere Tage erblindet und hätte in dieser Zeit als blinder Seher unter dem Felsüberhang hausen müssen, der sich tatsächlich als supercool, absolut sehenswert und abgefahren herausstellt.
Für einen ordentlichen sachgemäßen Wutausbruch bin ich an dem Abend zu erschöpft. Ich beschließe, die Episode zu verbloggen. Soll keiner meckern, ich hätte nichts gesagt.
Paparoa National Park: Inland Pack Track
Land: Neuseeland (Südinsel)
Anreise: Wir sind von Punakaiki aus gestartet. Von dort erreicht man über den Pororari River Track den Inland Pack Track. Punakaiki ist per Auto oder Bus erreichbar. Zurück ging es dann für uns per Anhalter.
Gehzeit: zweieinhalb Tage für 25 Kilometer (4. bis 6. Januar 2019); der Track lässt sich auch gut an zwei Tagen gehen
Herausforderungen: Durch die Flüsse waten, über Kieselsteine kraxeln, Weg über Baumstämme finden, die im Fluss den Durchgang versperren, Furt finden.
Wer den Track laufen will, braucht gutes Wetter. Nach Regen steigen die Flusspegel und wer ganz viel Pech hat, muss dann abwarten, bis die Flüsse wieder sicher passierbar sind.
Höhepunkte: Wekas (neuseeländischer Vogel), Kalksteinformationen, Schlucht des Dilemma Creek, ein Aal
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