Bibbulmun: Viererkette

Komm schnell, ruft mein Freund. Er ist aufgeregt. Ich hechte den Berg hinauf. Unter einem Busch hockt ein unbekanntes Wesen, in dem rundum Stacheln stecken. Mein Freund hat noch einen Blick auf die lange schwarze Schnauze des Wesens erhaschen können. Ich sehe nur noch einen Stachelball. Das Wesen hat sich unter seinen Nadeln verkrochen.

Was ist das?, fragt mein Freund.

Ein Beuteligel vielleicht?, rate ich.

Begegnung mit einem unbekannten Wesen

Wir schauen dem Wesen beim Atmen zu und sind aus dem Häuschen. Die braunen Stacheln heben und senken sich, ansonsten zeigt es uns die kalte Schulter. Wir machen ein Foto.

Erst einige Tage später googeln wir: Stacheltier Australien. Es stellt sich heraus, wir haben einen Ameisenigel getroffen. Auf Englisch heißt das Tier Echidna. Wir sind erneut entzückt. Wir haben auf dem australischen Bibbulmun, dem Fernwanderweg zwischen Perth und Albany, mit Kängurus, Schlangen und Spinnen gerechnet, aber nicht mit einem so abgefahrenen Viech.
Wieder ein paar Tage später treffen wir einen Ranger an einer der Bibbulmun-Hütten. Er sieht dort nach dem Rechten. Wir plaudern, und er fragt, ob wir ein Echidna gesehen hätten. Wir bejahen stolz. Er ist beeindruckt. In all den Jahren als Ranger habe er nur drei Echidnas gesehen. Später begegnen uns erfahrene Bibbulmun-Wanderer, die noch nie einem dieser eierlegenden Säugetiere begegnet sind.

Der Ameisenigel ist futsch

Entsprechend stolz bin ich auf unser Foto, als wäre mir der erste Schnappschuss des Yeti gelungen. Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß: Mein Handy wird in wenigen Tagen in einem Anflug von programmiertem Zerstörungswahn alle Bilder der ersten vierzehn Tage auf dem Bibbulmun löschen. Einschließlich des Echidnafotos. Damit ist der Beweis dahin. Kann ja jeder behaupten, einem Echidna begegnet zu sein!
Als ich merke, dass die Fotos futsch sind, trauere ich. Niemals mehr werden wir ein Echidna sehen, schluchze ich. Vielleicht war es das einzige seiner Art zwischen Perth und Albany. Am liebsten würde ich dem blöden Handy einen Echidnastachel in den Mini-USB-Slot rammen. Bestimmt sind die guten Echidnajahre vorbei. Längst hat sich unter den Echidnas herumgesprochen, dass wir unterwegs sind. Sie werden sich im Laub verkriechen.

Nach ein paar Tagen habe ich das Trauma langsam überwunden und akzeptiere den Verlust. Ich bin auf dem Weg zum Klohäuschen an der Hütte Swamp Oak, als es raschelt. Ein Känguru kann es nicht sein, auch kein Vogel, die rascheln anders. Dann sehe ich es, wie es einen Baumstamm entlangwatschelt. Ein Echidna. Ich nehme die Verfolgung auf. Dieses Mal bin ich es, die meinem Freund zuruft: Komm schnell her.

Während er durchs Unterholz spurtet, bewache ich das Echidna. Mein Freund war so geistesgegenwärtig, das Handy einzustecken. Wir sitzen auf einem Baumstamm und schauen – selig vor Glück – dem Echidna beim Schnüffeln und Watscheln zu, drehen einen kurzen Echidnablockbuster, knipsen das Watschelwesen. Ich sehe zum ersten Mal seine Pfoten und die Nase, durch die es die Ameisen vom Boden staubsaugt, was gut ist, denn auf dem Bibbulmun krabbeln viele Ameisen und ohne Echidnas, die sie in ihre Schranken weisen, wären die sicherlich unverschämt.

Happy End

Aber hier ist die Geschichte noch nicht zu Ende. An einem sonnigen Bibbulmun-Tag auf der Strecke zwischen Dwellingup und Collie auf dem Weg zur Murray-Hütte, steige ich über einen Baumstamm und höre erneut den Echidna-Sound. Das Tierchen watschelt durchs Laub. Mein Freund und ich bleiben stehen, alle Wanderstrapazen sind vergessen. Jetzt zählt nur noch der Ameisenigel. Und er ist nicht allein. Aus dem Unterholz krabbelt ein zweites Exemplar. Und noch eins. Und noch eins. Vier Echidnas auf einen Streich, das ist zweifelsohne der Ameisenigeljackpot. Der Lottogewinn in Sachen westaustralische Wildnis. Viel besser kann es auf dem Bibbulmun nicht mehr werden.

Wir sind Zeuge des Echidna-Paarungsrituals geworden (siehe Video unten). Zur Paarungszeit scharwenzeln die Echidnaherren den Damen hinterher und hoffen, dass sie zum Zuge kommen. Dann laufen schon mal mehrere Herren einem Weibchen nach, was Wochen dauern kann. Ich drücke jedenfalls die Daumen, dass bald viele kleine Echidnas aus ihren Eiern schlüpfen.

Bibbulmun: Dwellingup bis Collie

Land: Australien

Anreise: Dwellingup ist mit dem Auto erreichbar. Für uns war der kleine Ort Endpunkt der vorherigen Etappe auf dem Bibbulmun.

Gehzeit: Sieben Tage für 128 Kilometer (23. bis 29. August)

Höhepunkte: Blue Wren (kleiner stahlblauer Vogel), Echidnas, der Murray-Fluss, Bily-Djena- Bidi-Brücke

Herausforderungen: Kälte (vor allem morgens und nachts) und Regen

8 Kommentare Gib deinen ab

  1. Liebe Jana, da habt ihr aber großes Glück gehabt. Ich freue mich für euch. Möglicherweise war es nicht nur Glück, sondern Verdienst, weil ihr nicht „polternd und laut quasselnd“ unterwegs ward, wie manch ein Wanderer, so dass die Tiere schon früh gewarnt gewesen wären ☺.

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    1. Jana sagt:

      Ja, ich bin oft eh viel zu sehr aus der Piste zum Quasseln. Aber nach dem Echidna-Vorfall müssten wir uns besprechen 🙂

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