Schuld sind die Bären. Nicht an allem, aber an meinem Reiseziel. An manchen Sachen ist Donald Trump schuld oder die Klimaerwärmung. Und ich verbocke es auch ab und an. Ich trinke meinen geeisten Milchkaffee mit einem Plastikstrohhalm. Dafür verdiene ich immerwährende Verdammnis. Irgendwo im Ozean versucht ein Robbenbaby gerade, das Todesplastik aus seinem Hals zu würgen. Dafür können die Bären nichts. Ich gelobe Besserung.
Ziele für ein Sabbatjahr auszuwählen, ist schwierig. Wenn ein Achtjähriger einen Süßigkeitenladen besucht, in dem Dutzende Sorten neonfarbener Hariboprodukte nebeneinander liegen, steht er vor einem vergleichbaren Problem. Er will sie alle. Wenn er Pech hat, sogar die mit Lakritz. Aber mit zwei Euro Wochentaschengeld, muss man harte Entscheidungen treffen. Weiße Mäuse versus Apfelringe. Schlümpfe gegen saure Zungen.
Pelztier verfolgt Wanderer
Also habe ich für das Sabbatjahr, das ich im Sommer starte, eine Excelliste gemacht. Das ist eine bewährte Business-Technik. Wenn man keinen Plan hat, macht man eine Excelliste. Dann fühlen sich alle viel besser. In die Excelliste habe ich meine Ziele getippt, unter anderem Baikalsee, Indien, Chile, die USA, Kanada und noch ein paar mehr. Kanada und USA waren ganz weit vorn im Exceltabellenbewertungsschema. Ich erspare euch die Details zu meinem komplexen Bewertungsverfahren.
Dann kam das Video. In den sozialen Netzwerken sieht man Dinge, die man besser nicht gesehen hätte: Bärenmama mit Kind. Sie stalken einen Wanderer. Er hält dem Bärenpaar die Handykamera entgegen, während er rückwärts vor ihnen den Pfad entlangstolpert.
Obwohl die Bären flauschig aussehen und sich wahrscheinlich nicht viel bei der Sache gedacht haben, höchstens so »Ach, guck mal ein kleiner Wandermensch!«, habe ich kein Bedürfnis nach einem pelzigen Begleiter. Zwar machen die Videobären keine Anstalten, den Wandermensch als Zwischenmahlzeit zu betrachten, trotzdem reicht mir die kurze Horrorszene, um bärenverseuchte Länder wie die USA oder Kanada als potenzielle Fernwanderziele für mein Sabbatjahr auszuschließen. Klar gibt es ein paar bärenfreie Flecken auf der Landkarte. Aber auch ein Bär kann sich verirren oder Lust auf eine Fernwanderung bekommen.
Neben den Bären haben weitere Kriterien einigen Ländern auf der Liste den Garaus gemacht: gruselige Viren oder Parasiten, die mich von innen auffressen können, fehlende Wanderinfrastruktur oder wahnsinnige Staatsoberhäupter. Aber letztlich habe ich Angst vor Bären.
Monstertruck statt Todeskampf
Das ist irrational. Wahrscheinlich werde ich eher auf einem amerikanischen Highway von einem Monstertruck überrollt, als in einem Waldstück nahe der kanadischen Grenze von einem Monsterbär verschlungen. Trotzdem: Den Monstertrucktod stelle ich mir kurz und schmerzlos vor. Ich klebe binnen Sekunden als von allen irdischen Sorgen erlöster rosa Wanderermatsch auf dem Asphalt. Bei Grizzly-, Braunbär- oder Schwarzbärbegegnung steht mir ein langwieriger Todeskampf bevor. Oder der Bär zwingt mich, ihm alle meine Müsliriegel auszuhändigen. Dann verhungere ich, was noch länger dauert als ein Ringkampf mit Bär.
Angeblich lernen die Kinder in Kanada folgenden Reim zum Umgang mit verschiedenen Bärensorten: »If it’s brown lay down. If it’s black fight back. If it’s white good night.« Schwarzbären soll man anbrüllen. Spontan fällt mir nie was ein. Von der Bewaffnung mit schwerkalibrigen Schusswaffen, eine Variante, die ich durchaus in Betracht gezogen hatte, raten Bärenexperten ebenfalls ab. Mein orangefarbener Gürtel in Karate wird den Bär nicht beeindrucken. Auf Bäume klettern kann ich nicht – einige Bären aber wohl schon. Rüdiger Nehberg bestätigt in seinem Survivallexikon für die Hosentasche, dass ich keine Chance habe: »Sie sind stark, haben keine Angst und sind dem Menschen konditionell bei weitem überlegen.«
Wenn ich nachts im Zelt liege, es im Gebüsch raschelt, erleide ich in Bärengebiet einen Herzinfarkt. Und dann war es am Ende nur ein Eichhörnchen und die Bildzeitung schreibt: »Eichhörnchen des Todes schlägt zu: Touristin stirbt«. Das wäre mir sehr peinlich und würde die Eichhörnchen in Misskredit bringen.
Katze auf Alutopfjagd
Auf den Azoren (bärenfreie Zone) ist nachts ein unbekanntes Tier, ich tippe auf Katze, um unser Zelt geschlichen. Mein Freund hat das Schlimmste befürchtet: Zombies oder mutierte Riesenspinnen. Ich hatte vor allem Sorge, dass die vermutete Katze unsere Alutöpfe fortschleifen könnte, was mein Freund absurd fand, denn erstens würden Katzen das nicht tun und zweitens könnten sie das nicht tun. Ich habe argumentiert, dass Katzen das bestimmt tun könnten, denn Hunde apportieren ja auch Zeitungen. Mein Freund meinte, dass sei nur in Hollywoodfilmen so. Hunde könnten das auch nicht oder würden das nicht tun, da es ja völlig sinnlos für den Hund wäre, eine Zeitung herumzutragen. Außerdem würde der Hund das Papier nassschlabbern, und wer will schon Hundesabber auf der Titelgeschichte. Auf YouTube gibt es glücklicherweise jede Menge Videos mit Zeitung apportierenden Hunden, die von ihm als Beweismaterial akzeptiert wurden. Wenn Hunde Zeitungen apportieren, was apportiert dann ein US-amerikanischer Bär? Mit weniger als dem ganzen Zelt wird er sich kaum zufriedengeben.
Ich wollte die Angelegenheit sachlich angehen und im Internet recherchieren, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, Opfer einer Bärenattacke zu werden. Aber das Web ist keine große Hilfe. Die Verschwörungstheoretiker haben das Thema längst entdeckt: Die kanadischen Nationalparks würden Unfälle mit Bären vertuschen, um Touristen nicht zu verschrecken.
Die Lösung: Ich fahre im Sabbatjahr nach Australien und wandere auf dem Bibbulmun. Mein Freund kommt mit. 1.000 Kilometer absolut bärenfreie Zone. Und von Australien ist es nicht weit nach Neuseeland. Soll ja auch nett sein. Wie wir die Alutöpfe gegen Koalas verteidigen, sehen wir dann.
Ich könnte auf dem Bibbulmun natürlich von einer Giftschlange gebissen werden. Dann ist es aber nicht meine Schuld. Schuld sind die Bären.