Cairngorm-Runde (Teil 2): Rinderwahnsinn

Etwas schnauft. Laut, feucht und nah. Rotz und Glibber rutschen in jedem Atemzug mit durch.

»Das ist eine Kuh«, flüstert mein Freund, sich anschleichende Panik im Blick.

»Stimmt«, sage ich, »wir liegen neben einer Kuhwei… «

»Psssssst. Sie könnte uns hören. Sie ist wild«, zischt mein Freund mich an.

Vorsichtig öffnet er den Reißverschluss des Außenzelts und linst hinaus. Ich habe keine Zeit, ihn zu fragen, was er da draußen sieht, da schließt er das Fenster in die Welt schon wieder.

»Sie hat mich angestiert«, flüstert mein Freund und atmet schwer. »Böse angestarrt.«

Ich habe Angst, dass er gleich in Ohnmacht fällt.

»Die ist hinter’m Zaun«, murmele ich und überspiele, dass mir mulmig zumute ist.

»Der wird sie nicht aufhalten«, meint mein Freund. Er sitzt aufrecht im Zelt, angespannt und zur Flucht vor dem teuflischen Tier bereit, und erzählt von Wanderern, die in den Alpen von Kühen eiskalt zur Strecke gebracht wurden.

Wiesenquartier

Dass wir Rinder als Nachbarn haben, daran ist der Campingplatz in Boat of Garden schuld. Er hat sonntags nachmittags geschlossen. Hochsaison hin oder her. Zeltplätze seien ohnehin keine frei, verrät ein Aushang.

Wir planen um: Hinter dem Ortsausgang klingeln wir an einem einsamen Haus und fragen, ob wir auf den umliegenden Grünflächen Quartier machen dürfen. Wir bekommen die Erlaubnis. Aber wir hätten besser die Kühe und nicht deren Besitzer gefragt. Jetzt liegen wir auf ihrem Mittagessen, einer schottischen Feinschmeckerwiese mit Wildblümchen, Spitzwegerich und Grashalmen bis über die Knöchel. Das gefällt ihnen nicht.

Wilde Wiederkäuer

Ihr kennt alle diese Szene aus Jurassic Park: Als der T-Rex sich an das Auto mit den Kindern heranpirscht und sich die Wasseroberfläche im Glas kräuselt. Wenn ein wilder Wiederkäuer vier Meter vor deinem Zelt plötzlich losspurtet, kann der T-Rex einpacken.

Brüllend ruft die Kuh ihre Kumpel. Zusammen singen sie eine Kukophonie. Sie schreien in die Stille der Abenddämmerung und rennen los. Wie Lkw auf einer Schlaglochpiste lassen sie die Isomatten zittern. Die Horde Fleischklopse veranstaltet einen Sprintwettbewerb.

Schlafen? Keine Chance. Vielleicht halten sie unser Zelt für ein absonderlich geratenes Exemplar ihrer Art. Oder ein Paarungssubjekt. Oder sie wollen uns einfach nur ärgern.

Auf dem Weg zu den Annehmlichkeiten

Am nächsten Morgen guckt uns eine der Terrorkühe hämisch dabei zu, wie wir im Regen unser Zelt abbauen. Bei Dauerschauer tappen wir durch den Abernethy Forest nach Nethy Bridge, wo es mit dem Campen schon wieder schlecht aussieht. Hochsaison eben. Wir nehmen den Bus nach Grantown-on-Spey, laut Reiseführer »ein Ort mit vielen Annehmlichkeiten« inklusive eines garantiert huftierfreien Campingplatzes.

Die Nacht dort ist geruhsam, aber mein Freund vergisst nicht. Seine Rache folgt auf der vierten Etappe der Cairngorms-Runde. Im Glen-Avon-Hotel in Tomintoul bestellt er gleich zwei Beef-Burger.

Cairngorm-Runde (Etappe 2: von Boat of Garden nach Nethy Bridge; Tour 3 in: Doris Dietrich und Anja Vogel: Schottland: Central Highlands & Cairngorms Nationalpark)

  • Land: Großbritannien (Schottland)
  • Anreise: mit dem Bus von Aviemore oder Grantown-on-Spey nach Boat of Garden (für uns war Boat of Garden das Etappenende der vorherigen Wanderung)
  • Länge: 8 km
  • Gehzeit: rund zweieinhalb Stunden (14. August 2017)
  • Höhepunkte: Abernethy Forest, Grantown-on-Spey (Für Wanderer hat der kleine Ort genau die richtige Menge an »Annehmlichkeiten«: Pub, Café, Supermarkt, gepflegter Campingplatz – nicht überlaufen, sondern gemütlich.)
  • Herausforderungen: keine, einfache Tour, gehört aufgrund der Länge zur Kategorie der Miniwanderungen

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