Es könnte auch ein Schimpanse sein, sagt Maxxii. Er hofft, dass der Zoomitarbeiter kein Standardtier in die Schule bringt, sondern eines, das etwas hermacht.
Maxxii ist aufstrebender Jung-YouTuber. Auf seinem Kanal analysiert er menschliche Verhaltensweisen und tritt damit in die Fußstapfen von Aristoteles und C. G. Jung, die der psychologischen Typenlehre ebenfalls nicht abgeneigt waren.
Maxxii präsentiert sieben Arten von Filmeguckern und zehn Typen von Eltern. Tipps zur Produktion von kandierten Äpfeln und Crêpes gibt es auch. Maxxiis Interessen sind vielseitig, aber vom Wandern hält er nichts. Er und seine Mutter haben meinen Freund und mich für ein paar Tage in ihre Familienhütte in die Vogesen mitgenommen. Wir wandern, die zwei gehen schwimmen.
Zeitangabe für Kleinstlebewesen
Als ich das Schild am Col de la Schlucht (Col = Pass) sehe, muss ich an Maxxiis Schimpansen denken. Der passt eher in ein Klassenzimmer, als dass die übrigen läppischen sechs Kilometer der Wanderung noch dreieinhalb Stunden dauern. Es könnte doch sein, dass die sich mit dem Schild geirrt haben. Dass es sich um eine alternative Route handelt. Oder dass die Zeitangabe für Zwerge, Hobbits oder andere Kleinstlebewesen gedacht ist.
Viereinhalb Stunden zuvor, kurz nach dem Start der achtzehn Kilometer langen Wanderung: Ich versuche, einen Schmetterling zu knipsen, der auf dem Vogesenkamm wohnt. Der Schmetterling hat aber einen Nektarschwips und torkelt. So klappt das nicht. Die Flauscheblumen können nicht fliehen und werden abgelichtet. Sie ruckeln im Wind (siehe Video unten) als würde die WLAN-Verbindung zur Wirklichkeit stocken. Offiziell heißen die Flauscheblumen Scheiden-Wollgras. Ich bevorzuge aber Flauscheblume.
Nach vier Stunden erreichen wir den Col de la Schlucht, an dem das Dreieinhalbstundenschild mir Rätsel aufgibt. Bis dahin hätte der Wanderweg schon eine Eins mit Sternchen verdient: Auf dem Vogesenkamm gibt es so viele Aussichtspunkte wie Schuhläden in der Mannheimer Fußgängerzone.
Wir könnten es gut sein lassen und uns für den Rest des Tages mit elsässischer Tarte vollstopfen. Es den Rentnern gleichtun, die am Col in ihre Autos steigen.
Einer hat es nicht überlebt
Aber ich will dem Schild zeigen, dass es sich irrt. Dass selbst ich für sechs Kilometer keine dreieinhalb Stunden brauche.
Es geht abwärts. Schmetterlinge gibt es keine mehr. Die sind Rentner auch weg. Nur ein halbwüchsiger Trailrunning-Spargeltarzahn hüpft an uns vorbei. Geröllfelder, Steilhänge, Wasserfall, Drahtseile zum Festhalten, eine Felsspalte zum Durchgehen. Auf dem Hosenboden rutsche ich über Steinbrocken. Eine Gedenktafel erinnert an einen, der die Route nicht überlebt hat. Wir erforschen eine Höhle namens Dagobert (es war keine Ente drin).
Ich befinde mich – laut Wikipedia – auf einem „der eindrucksvollsten (und gefährlichsten) elsässischen Gebirgspfade“, dem Sentier des Roches (Felsenpfad). Angeblich nutzt die Armee die Strecke für Soldatenmärsche.
Auf die sechs Kilometer des Sentier hat das Elsass viel Landschaft hineingepresst. Die Gebirgsblumenteppiche sehen aus, als wäre ein Flugzeug mit einer Ladung Fleuropsträuße an den Steilwänden zerschellt. Am Ende des Sentier, am Gipfel des Hohneck, treffe ich noch eine Ziege, die auch nicht geknipst werden will. Und die Rentner, die das Auto genommen haben.
Ich schaue ich auf die Uhr. Das Schild hatte recht: Drei Stunden und fünfzehn Minuten haben wir gebraucht. Ich verleihe ich dem Sentier des Roches eine Auszeichnung: Prädikat Schimpanse.
Auf dem Vogesenkamm: Col du Colvaire bis zur Ferme Auberge au Pied du Hohneck
- Land: Frankreich
- Anreise: mit dem Auto zum Ausgangspunkt (Col du Colvaire)
- Gehzeit: rund siebeneinhalb Stunden für etwa 18 Kilometer (14. Juni 2017)
- Höhepunkte: Schmetterlingsschwärme, Wollgras, Ringelbuhlkopf, Sentier des Roches, Gipfel des Hohneck
- Herausforderungen: Sentier des Roches (Dreieinhalb Stunden sind nicht zu großzügig kalkuliert. Trittsicherheit notwendig. Manchmal muss man ein bisschen kraxeln.)
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