Als Vegetarier in einem umgebauten Schlachthaus übernachten. Hat was. Wo einst die Schweinchen ihren letzten Atemzug schnauften und die Rindviecher ausbluteten, schlummern jetzt Fern- und Tageswanderer, Familien und Backpacker.
Das Refugi Pont Roma liegt direkt am Wanderweg. Der junge Mann an der Rezeption versucht, seinen Computer zu überreden zu tun, was er tun soll. Der Computer hat aber seinen eigenen Willen. Mein Freund und ich haben die Rucksäcke abgesetzt und sitzen mit gebeugtem Kreuz, die Beine von uns gestreckt, auf einer Bank. Zwei ältere Herren, die uns auf unserer Tour mehrfach begegnet sind, schlurfen in den Gemeinschaftsraum. Einer hat seine Wanderstiefel mit Gaffer Tape repariert. Beide haben einen Dreitagebart. Ihre Kleidung ist staubig. Neben uns plaudert eine Familie an großen Holztischen.
Refugi als Unterkunft
Wir müffeln geduldig den Gemeinschaftsraum voll, froh, dass wir noch ein Bett bekommen. Wildcampen ist schwierig auf dem GR 221. Also für diese Nacht ein Refugi, der Standardunterkunft für Wanderer auf dem Weg der Trockensteinmauern. Weil wir ein Schlafsackinlett dabei haben, müssen wir keine Bettwäsche mieten und kommen günstig davon.
Mein Freund ist skeptisch. Refugi bedeutet: Mehrbettzimmer. Die Chancen stehen gut auf geruchsintensive Socken, dröhnende Schnarcher, in Alkohol eingelegte Rucksacktouristen, rauschende Familienfeiern mit Gesang und Tanz und Frühaufsteher, deren Handywecker morgens um 5:30 Uhr eine unglaublich nervige Tingeltangelmelodie spielt, weil der Frühaufsteher unbedingt vor der Mittagshitze den ersten Pass erklommen haben will.
Er werde garantiert nicht schlafen können, jammert mein Freund. Im Zimmer sei es bestimmt viel zu heiß. Laut werde es sein. Dauernd werde jemand das Licht anschalten, über querliegende Wanderstöcke stolpern oder das Bett verwechseln und dann für großes Tohuwabohu sorgen.
Unter den Herbergsgästen könnten Schlafwandler sein. Die Schweinchen und Rindviecher könnten nachts als blutüberströmte Wiedergänger durch Refugi galoppieren, denke ich noch, halte aber lieber die Klappe.
Bergab nach Pollença
Nach neun Tagen auf der Route der Trockensteinmauern sind wir erschöpft. Die für uns letzte Etappe hatte knapp 18 Kilometer. Sie führt über den Coll Pelat und den Coll des Pedregaret hinab nach Pollença. Ich genieße noch mal die Bergwelt der Tramuntana, grüße freundlich jedes vorbeischauende Schaf und trinke das kalte Wasser direkt aus der Quelle Font de Muntaya, die hinter einer Eisentür in einem dunklen niedrigen Gang aus dem Berg sprudelt. Kurz vor Pollença weitet sich die Landschaft zu einem breiten Tal voller Obstbäume, um die fette Hummeln brummen. Im Hintergrund die grün-grauen Höhen.
Irgendwann gibt der Computer seinen Widerstand auf, und der junge Mann führt uns in unser Zimmer, in das sich mehrere Stockbetten mit weißen Laken drängen. Die Wanderschuhe müssen draußen bleiben; wir parken sie auf einem Regal vor der Zimmertür.
Ein großer Teil der Betten ist schon belegt. Der Mann mit dem Tapeschuh wird der Bettnachbar meines Freundes. Ich entscheide mich für eine der unteren Schlafstätten; mein Freund legt sich Ohropax zurecht, und wir gehen in den Ort zum Abendessen, wo in den Gassen Mopeds husten und Toursten flanieren.
Zwei Stunden später – wir haben die Stirnlampen vergessen – stolpern wir im Dunkeln zurück zum Refugi. Die Straßenbeleuchtung ist spärlich. Im Zimmer ist es verdächtig still. Nach uns schleichen nur wenige Nachzügler ins Bett.
Auf der Lauer
Ich wittere Störenfriede und hoffe, dass sie ihr Werk schnell hinter sich bringen. Damit ich schlafen kann. Aber nichts. Sie lassen sich Zeit. Das zehrt an meinen Nerven. Jeden Moment kann es losgehen. Der Tapeschuhmann wird als röchelnder Somnabule durch das Zimmer streifen. Ich lausche, ob Betten quietschen. Niemand hustet, nicht mal ein Moped, obwohl das Fenster offen ist, durch das wahrscheinlich gleich Armeen von Stechmücken oder fingerdicke Nachtfalter einmarschieren. Die Geister der Geschlachteten ruhen. So liege ich. Weil nichts passiert, kann ich nicht schlafen.
Am nächsten Morgen wirkt mein Freund ausgeruht. Er habe gut geschlafen, sagt er. Das nächste Mal bitte keine Refugi-Gruselgeschichten vor dem Einschlafen, denke ich und freue mich auf eine große Tasse Kaffee.
Mallorca – GR 221 (Route der Trockensteinmauern): Lluc – Pollença
- Land: Spanien (Mallorca)
- Anreise: Etappe 12 in Hartmut Engels »Mallorca: GR 221, Route der Trockensteinmauern«. Lluc war für uns der Ausgangspunkt der vorherigen Wanderung. Pollença ist von Palma de Mallorca mit dem Bus erreichbar.
- Gehzeit: ca. 6 Stunden für knapp 18 Kilometer (3. April 2018)
- Höhepunkte: Rast an der Font de Muntanya (dort stehen Sitzbänke und ein runder Tisch aus Stein), Tal Vall d’en Marc, Gassen von Pollença
- Herausforderungen:
- Das letzte Teilstück der Strecke führt eine Weile an einer Straße entlang. Dieses Teilstück zieht sich etwas; die Straße ist außerdem gut befahren. Autos und Rennradfahrer sind unterwegs.
- Von Pollença den Bus nach Palma de Mallorca zu finden, war nicht ganz einfach. An der Bushaltestelle war nicht angeschlagen, wohin der Bus fährt und wo er hält. Einheimische, die man hätte fragen können, waren am frühen Morgen nicht unterwegs und Google war keine große Hilfe. Ein netter Busfahrer hat uns bis zur Bushaltestelle mitgenommen, in der wir eigentlich hätten einsteigen sollen – sogar gratis, denn die Strecke war in seinem Ticketsystem nicht buchbar.
Mehr Lesestoff
- In den Beiträgen Sternenzelt, Heiliges Wasser und Hoseanna! erfahrt ihr mehr über meine Abenteuer auf dem GR 221.
- Theresa, alias Travelwoman, gibt auf ihrer Seite einen umfassenden Überblick über alles, was man wissen muss, um auf dem GR 221 zu wandern: Unterkunft, Proviant, Gaskartuschenversorgung. Berichte über die einzelnen Etappen mit vielen tollen Bildern gibt es noch dazu.
- Im Interview erzählen Sylvia und Bernd auf sebbamberg von ihren Erlebnissen auf dem GR 221 und geben ein paar Insider-Tipps.
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