Mit fünf Freunden auf den Trattberg bei St. Koloman
In der Brühe schwimmt ein Kaspressknödel. Wie ein Schiff schunkelt er zwischen Schnittlauchalgen auf und ab. Endlich Salz. Viel Salz und der derbe Geschmack von lange gereiftem Käse, der den Kaspressknödel durchzieht wie eingebackene Gesteine einen Meteor. Kaspressknödelsuppe ist Belohnung für den Anstieg. Zwischenzeitlich war ich mir nicht sicher, ob wir alle durchhalten würden.
Wir sitzen draußen. Alle sechs haben wir an an einem langen Tisch an der Vorderwand der Christlalm Platz genommen, die Rucksäcke abgestellt. Die T-Shirts kleben an Bauch und Rücken. Nach siebenhundert Höhenmetern bergauf sind wir müde gelaufen.
Käsebrot der Extraklasse
Die Bedienung – in ihrer Tracht sieht sie aus wie ein Almblümchen – bringt ein Käsebrot auf einem Holzbrett: sechs Scheiben Käse auf einer Scheibe Brot, geschichtet wie alte Tapeten. Eine stinkt mit der Kaspressknödelsuppe um die Wette – endlich aus dem Kühlschrank entlassen, schleudert sie uns ihren nackten Duft entgegen – schmierige, geronnene Milch auf Butter unter Gürkchen und Tomaten. C. hält sich die Nase zu. Zu viel Käsegeruch bekommt ihm nicht. »Poast oalles?«, fragt die Almblümchenfrau. »Passt«, sagen wir im Chor.
Käsebrot ist ein gutes Brot, singt Helge Schneider. Mit fünf Freunden auf einer Alm im Salzburger Land zu sitzen und über die Massen an Käse zu staunen, die auf eine einzige Scheibe Brot passen, dazu ein Holunderwasser, während der Schweiß langsam trocknet, das kann glatt als Definition von Glück durchgehen. Auch wenn die Muskeln im Rücken und in den Waden ziehen und mir mein eigener Kopf schwer vorkommt. Vielleicht ist Glück anstrengend. Für mich schmeckt es würzig wie Kaspressknödelsuppe. Der Trattberg ist jetzt unser Berg, selbst wenn es kein besonders großer ist. Mit 1757 Metern stellen wir keinen Rekord auf.
B. und C. kenne ich schon seit mehr als zwanzig Jahren. Wir haben Falten bekommen, sind aber die gleichen geblieben. Wir erzählen uns Geschichten von früher, von wunderlichen Erlebnissen, von Partys und Lehrern. Ich höre sie mir gerne an.
Auf Almwiesen wächst wilder Oregano
Die alten Freunde bewahren Erinnerungen für mich auf, die ich längst vergessen habe. Jetzt reiht sich dieser Sommertag in die gemeinsame Lebenszeit. Wir schreiben weiter an der Geschichte in unserem Freundschaftsbuch – ein neues Kapitel: Der Tag, an dem wir den Trattberg bestiegen haben. Der Tag, mit dem mehrlagigen Käsebrot. Der Tag, an dem der wilde Oregano aussah, wie die Brosche einer älteren Dame auf ihrem Wiesenkleid – zartlila und verspielt. Der Tag, an dem der Heuschnupfen C. auf den letzten Metern des Abstiegs voll erwischt hat. Der Tag mit den Pferden auf der Weide. Der Tag, an dem die Luft geglüht hat.
Natürlich hätten wir früher aufbrechen müssen. Der wahre Bergsteiger nutzt die kühlen Stunden am Morgen. Aber es ist zu schön in St. Koloman auf der Terrasse des Ferienhauses bei den frisch gebackenen Brötchen von T. und teerschwarzem Kaffee. Und für den Betonmischer konnten wir nichts.
Die Straße von St. Koloman hinunter ins Tal ist blockiert, wir warten zusammen mit ein paar Dorfbewohnern, wie der Lkw seinen Bauch entleert. Vielleicht stimmt das Klischee, dass es in Österreich geruhsamer zugeht. Niemand hupt. Schweigend sitzen wir im Auto, um uns herum nur tiefe Täler.
Am Parkplatz in der Nähe des Seewaldsees liegt der Berg vor uns: ein Garant lustvoller Aufstiegsqualen. Der Pfad führt durch den Wald an einer Steilwand entlang, an der ein Kletterer sich die Hände reibt und nach oben schaut.
Die Christlalm liegt noch hinter dem Gipfel des Trattbergs auf 1500 Metern; auf der Webseite steht: »Hier regiert die Fröhlichkeit!« Reisegruppen sind willkommen. Die Panorama-Straße führt direkt dorthin – man muss sich nicht stundenlang den Trattberg hinaufschleppen. Senioren schlurfen auf Stöcke gestützt zurück zu ihrem Reisebus. Wir sitzen im Schatten. Der Käse aus dem Knödel zieht lange Fäden.
Ich könnte an keinem besseren Ort sein. Die Sonne hat meinen Kopf leergebrannt. Lichtschutzfaktor 50 war nicht übertrieben. S. wird später einen Sonnenbrand bekommen. Der Trattberg ist ein Glatzkopf: steile Wiesen, aber kein Schatten. In der Pause drängen wir uns unter den Schatten einer einsamen Fichte, während C. mit einem Kameraschwergewicht einen Apollofalter jagt. Ich verklebe mir die Fersen, die Haut hat sich schon mit Wasser gefüllt. Wir machen Scherze über unser Alter, rücken näher zusammen, damit alle auf die wenigen Quadratmeter Schatten passen, die Wasserflaschen leeren sich. C. hat sich auf eine Ameise gesetzt, springt auf und fuchtelt über den Stoff seiner Hose, um alles Insektengetier zurück auf die Wiese zu befördern. Auf den flachen breiten Wegen reden wir, bis es wieder steiler wird, wir unseren Atem brauchen und der Hang die Gruppe auseinanderreißt. Die Sonne steht hoch und schickt Hitze wie Ohrfeigen.
Kreuz ohne Gipfel, Gipfel ohne Kreuz
Mein Freund ist als Erster am Gipfelkreuz des Trattbergs. Es steht nicht auf dem Gipfel, sondern ein paar Meter darunter. Wir anderen kommen nach – eine Wandererkarawane mit gesenkten Köpfen, Hüten und Sonnenbrillen. Fliegen surren um Kuhlfladen und feiern Feste auf feuchtem Dung. Wir machen ein Foto von uns an dem Gipfelkreuz, das kein Gipfelkreuz ist. Mit den Wanderstiefeln haben wir uns im Boden verankert und stehen zusammen, Schulter an Schulter. Wir lachen ein Kameralachen. Mein Freund trägt uns ins Gipfelbuch ein, das kein Gipfelbuch ist. Die Alpen zerfließen im Hochsommerdunst.
Dann wieder abwärts. Wir packen Brote aus, noch vor der Alm. Unser Auto steht nochmal mehr als 400 Höhenmeter weiter unten. Eine Kuh begleitet C. ein Stück. Vielleicht taugt sie als Reittier? Ein Kaspressknödelscherz aus dem Bauch.
Der Schöberlsteig führt uns über einen Steilhang. Der Pfad ist kaum zwei Fuß breit. Links geht es steil nach unten. Immer nur geradeaus schauen, sagt sich C., der nicht ganz frei von Höhenangst ist. Ich drücke mich an den Felsen entlang. Eine schwarze Schlange taucht im Geröll auf, berichten B. und mein Freund (es ist seine erste europäische Schlange). Wir laufen auf ausgewaschenen Steinen, die aussehen wie Beckenknochen riesiger Dinosaurier. Die Grillen sind laut. Meine Beine werden schwerer, meine Haut ist rot von den Sonnenohrfeigen. Irgendwann sind wir unten, sehen den Lack der Autos funkeln. Ein Bauer macht Heu. Es riecht nach Gras. Geschafft, sagt einer. Geschafft, sagen die anderen.
Salzburger Land: Vom Parkplatz am Seewaldsee zum Trattberg über den Schöberlsteig zurück
Land: Österreich
Anreise: Der (kostenpflichtige) Parkplatz am Seewaldsee ist mit dem Auto erreichbar.
Gehzeit: Rund fünf Stunden für knapp zehn Kilometer und etwa siebenhundert Höhenmeter hoch und wieder runter (10. August 2020). Geübte Bergwanderer schaffen die Strecke natürlich schneller. Unsere Route: Parkplatz Seewaldsee, von dort hinauf zur Enzianhütte und auf den Trattberg, Christlalm, Schöberlsteig und wieder hinunter zum Parkplatz.
Herausforderungen: Die Abzweigung auf den Schöberlsteig ist leicht zu übersehen, ansonsten ist die Beschilderung gut. Es gibt nur wenige Pfade, die sich kreuzen – verlaufen kann man sich also nicht wirklich.
An- und Abstieg waren für mich als Mittelgebirgswanderer kräftezehrend, aber machbar. Die Tour lässt sich verkürzen, indem man zum Beispiel zur Enzianhütte mit dem Auto fährt und von dort aus auf den Trattberg läuft. Über die Panoramastraße kommt man wieder zurück zum Ausgangspunkt.
Wem leicht schwindelig wird, für den ist der Schöberlsteig nichts. An einigen Stellen ist die Route außerdem steinig und sehr steil. Ihr müsstet also trittsicher sein; ich empfehle festes Schuhwerk.
Höhepunkte: Gitschenwand (Steilwand), Aussicht vom Trattberg, Kühe, Apollofalter, Einkehr auf der Alm, Schöberlsteig, wilder Oregano
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