Lake Matheson: Sehnsuchtssee

Die Ente stört, denn sie macht Wellen. Schandfleck. Nervtöter. Ich flehe die neuseeländischen Götter an, die Ente zu vaporisieren. Bete, dass sie wegschwimmt. Zumindest die Füße still hält. Sich im Schilf verzieht oder untertaucht.

Geh weg, Ente, sage ich, winke ihr zu und fuchtele furchterregend mit den Armen. Ich bin um sechs Uhr morgens aufgestanden und zu diesem See marschiert. Da lasse ich mir von einer sturen Ente nicht die Szenerie verderben. Aber der dumme Vogel schwebt nur leise durchs schwarze Wasser und kümmert sich nicht um mich. Er versaut die Show und verschmutzt die Kulisse.

Das Zuhause der Ente: Lake Matheson

Die störrische Ente lebt auf dem Lake Matheson. Ich werde die neuseeländische Tourismusbehörde darum bitten müssen, sie zu entfernen.

Lake Matheson war eine Empfehlung des Busfahrers, der meinen Freund und mich am Vortag nach Fox Glacier gefahren hat. Es ist einer dieser Seen, von denen es in Neuseeland einige gibt, und in denen sich die Landschaft spiegelt. Zumindest wenn Wetter und Sonnenstand stimmen, und keine Ente ihr zerstörerisches Unwesen treibt.

Besuch in den Morgenstunden

Am besten sei es frühmorgens am See, hatte der Busfahrer erklärt. Er wusste wahrscheinlich nicht, dass die Ente dann schon wach ist.

Hinter Ente und See erheben sich, weiß und weit oben, die Neuseeländischen Alpen, samt Mount Cook und Mount Tasman, dem höchsten und dem zweithöchsten Berg Neuseelands. Der See ist von Fox Glacier, einem kleinen Ort unterhalb des gleichnamigen Gletschers, leicht zu erreichen. Mit dem Auto sind es nur wenige Minuten, zu Fuß braucht man etwa eine Stunde. Der Weg um den See, eher ein Spaziergang als eine Wanderung, ist gut ausgebaut.

In Neuseeland liegen viele Naturwunder direkt am Straßenrand, eine Art Drive-in für Landschaftsjunkies. Wer will, kann an einem Tag mehrere Seen, Wasserfälle, Steinfomationen oder Höhlen abklappern. Zum Lake Matheson muss man immerhin ein paar Schritte zurücklegen.

Ich will ein Foto von dir

Nur wenn der See seidenglatt ist, kein Wind bläst, der das Wasser kräuselt, und keine Ente durchs Bild zieht, ist die Spiegelung klar zu sehen. Und dann kann man das Foto machen, dass schon Abertausende gemacht haben. Und jetzt will ich auch so ein Foto.

Die Menschheit verbringt einen nicht unwesentlichen Teil ihres Daseins damit, die immer gleichen Motive zu fotografieren. Darüber hatte ich mich schon bei der Wanderung um den Taranaki gewundert. Und die Ente wundert sich sicher auch.

Festhalten, abdrücken. Nina Hagen hat das schon in den Siebzigern besungen: Du hast den Farbfilm vergessen, mein Michael, jetzt glaubt uns kein Mensch, wie schön’s hier war.

Ich habe mich von der Bilderjagd gefangennehmen lassen. An diesem Vormittag suche ich ein Idealbild, in dem es keinen Platz für Enten gibt. Das Foto ist ein Statussymbol. Shame on me.

Still und starr ruht der See

Am nächsten Aussichtspunkt ist die Ente verschwunden. Die Luft steht. Mein Freund macht ein Foto. Noch eins. Die Spiegelung wird immer klarer. Knips. Ein Helikopter fliegt durch das Wasser. Er bringt Touristen auf den Gletscher. Mir wird schwindelig, denn der Himmel ist unter mir.

Jetzt, sage ich zu meinem Freund. Er drückt noch mal auf den Auslöser. Der Moment ist im Köcher. Das Spiegelbild ist schärfer als das Original, das am Horizont wabert, sich im Wolkendunst verliert.

Ein älteres deutsches Pärchen kommt zu uns auf den Steg. Er fotografiert.

Ein Poster über dem Bett

Als wir später in den Ort trampen, nimmt uns das Pärchen mit. Ob ihnen der See gefallen habe, frage ich. Ja, antwortet der Mann. Er habe in seiner Studentenbude jahrelang ein Poster mit dem See über seinem Bett gehabt. Er hatte sich geschworen, eines Tages dorthin zu fahren.

Ich bin gerührt und fühle mich bestätigt: Die Ente muss weg.

Der Mann wirkt ruhig, fast nachdenklich. Nicht wie einer, der vor Glück platzt und dem die Begeisterung durch die Adern rauscht. Wahrscheinlich war Lake Matheson besser, als es noch ein Sehnsuchtssee war.

Fox Glacier: Lake Matheson

Land: Neuseeland (Südinsel)

Anreise: Fox Glacier erreicht man mit dem Bus. Von dort kann man zum Lake Matheson laufen. Die Strecke bis zum See ist allerdings nicht besonders interessant. Sie führt an einer Landstraße entlang.

Gehzeit: rund eine Stunde für den 2,6 Kilometer langen Rundweg um den See (25. Januar 2019)

Herausforderungen: Den richtigen Tag und die richtige Uhrzeit erwischen. Ist keine Spiegelung zu sehen, ist der Lake Matheson ein ordinärer kleiner See. Ideal sind die frühen Morgenstunden oder die Dämmerung, gutes Wetter (sonst hängen Wolken vor den Bergen) und Windstille. Wer den See nicht mit Busladungen von Touristen teilen will, sollte ebenfalls frühmorgens oder spät am Abend dort sein.

Höhepunkte: der Wald rundum den See, die Berge, die sich im See spiegeln, Kaffee im Matheson Café (der Kaffee war nur lauwarm, aber die Aussicht auf die Berge war prima)

2 Kommentare Gib deinen ab

  1. Barbara sagt:

    Großartiges Foto und wie immer ein schöner Text. Passt gut auf euch auf!

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    1. Jana sagt:

      Liebe Barbara, danke für deine liebe Nachricht. Klar, wir passen auf uns auf!

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