Pfalz: Rutschpartie

Winterwanderung bei Wachenheim in der Pfalz

Der kleine gelbe Wanderführer aus dem Conrad Stein Verlag hatte mich gewarnt. Die Wachenheimer Waldrunde war mit einem blutroten Punkt markiert und feuerte mir Vorsicht gemahnende Worte entgegen: »Anspruchsvolle bis schwierige Wanderung auf überwiegend unbefestigten Wegen, die über sehr schmale Pfade und an steilen Hängen oder Klippen entlangführen kann, gute Kondition und Orientierungsvermögen sowie stellenweise Trittsicherheit und Schwindelfreiheit sind erforderlich, festes Schuhwerk unbedingt notwendig.«

Ich habe nur müde gelächelt. In der Pfalz würde ich wohl eher nicht von einer Klippe stürzen. Die rund fünfzehn Kilometer schienen mir machbar. Die Orientierung sollte dank GPS kein Problem sein. Festes Schuhwerk war selbstverständlich. Was sollte im Wachenheimer Wald schon passieren?

Mein Freund und ich wollten raus, Kälte und Frischluft tanken, den Finger in den Schnee stecken, heißen Tee aus der Thermoskanne trinken und auf einem Rastplatz in unserem Spirituskocher eine Portion Pilzrisotto kochen. Die Warnungen des Büchleins verhallen ungehört.

Leichenblasse Landschaft

Bei der Anfahrt nach Wachenheim sehen wir in der Ferne den Schnee. Er überzieht die Hügel der Pfalz wie eine graue brüchige Haut. Die Wolken hängen tief. Die Welt steckt an diesem Tag in einer Butterbrottüte. Alles ist leichenblass. Während die Bäume mit ihren kahlen Ästen die Berge rund um Wachenheim aussehen lassen wie Igel mit gestutzten Stacheln, kommen mir die Weinstöcke vor wie knochige alte Männer, die mit dem Tod schon seit langer Zeit regelmäßig einen Schoppen trinken.

Etwas weiter oben im Schnee wird es funkeln, hoffe ich. Ein wenig Winterwunderwelt wäre schön.

Wachenheim gehört zu meinen Lieblingsorten in der Pfalz. Über dem Städtchen thront die Wachtenburg, an deren Hängen im Sommer Klatschmohn blüht. Auf der einen Seite die Hügel, auf denen der Wein wächst, auf der anderen schießt der Pfälzerwald mit seinen Kiefern, roten Felsen und sandigen Böden in die Höhe. Die Wanderwege wippen zwischen Bergen und Tälern auf und ab, alle paar Kilometer unterbrochen von einer Hütte, die Saumagen und Handkäse serviert. Und dann ist da noch das Sektschloss. Mitten im Ort gelegen mit großem Innenhof, in dem man im Sommer herrlich sitzen und die müden Beine bei einem Glas Sekt ausstrecken kann. Es ist fast unmöglich, Wachenheim ohne einen leichten Schwips wieder zu verlassen.

An diesem Tag ist die Gefahr für alkoholische Eskapaden gering. Im zweiten Corona-Lockdown haben die Weinstuben geschlossen. Bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt bräuchte es im Hof des Sektschlosses schon ein gewaltiges Lagerfeuer, um Gäste zu überzeugen, noch ein halbes Stündchen zu verweilen.

Die Wachenheimer Waldrunde führt uns an einem kleinen Bach entlang. Trotz des Winters singen Vögel. Auf dem Boden liegen noch Bucheckern vom Herbst und die stacheligen Gehäuse der Esskastanien. Klippen sind keine in Sicht. Aufregend wird die Tour trotzdem. Grund dafür ist die Kombination aus Lockdown-Langeweile und Witterung.

Fußmarsch durch eine Bobbahn

Je näher wir dem rund fünfhundert Meter hohen Eckkopf kommen, desto dichter wird die Schneedecke. Trotzdem reicht sie mit kaum fünf Zentimetern weder zum Ski- noch zum Schlittenfahren. Aber für ein bisschen Glitzergefühlt reicht es.

Die Pfade zum Eckkopf sind, wie vom Wandererführer angekündigt, schmal und steil, und damit beginnt das Problem: Die Schritte unzähliger Spaziergänger, Jogger und Wanderer, die wie wir im Lockdown keine Lust mehr auf das heimische Wohnzimmer hatten, haben den Schnee zusammengepresst. Der Weg ist mit einer Eisschicht bedeckt. Es fühlt sich an, als wäre ich zu Fuß in einer Bobbahn unterwegs, in die Blätter, Nadeln, Steinchen und kleine Äste eingebacken sind.

Vorsichtig schiebe ich die Füße übers Eis. Meine Schuhe finden keinen Halt. Ihr Profil nützt mir bei diesem besonderen Untergrund nichts. Ich schlittere einen halben Meter den Hang hinunter und stütze mich mit den Armen auf dem Boden ab. Den anderen Wanderern, die an diesem Tag im Wald bei Wachenheim unterwegs sind, geht es nicht besser. Wir bilden eine unfreiwillige Gemeinschaft unbegabter Seiltänzer.

Umkehren will ich trotz des Eises nicht. Wir sind ja schon fast oben. Dort wartet das Risotto. Dass wir auch irgendwie wieder runter vom Berg müssen, verdränge ich.

So gut wie möglich arrangiere ich mich mit den Bedingungen. Rechts und links vom Weg geht es sich etwas leichter. Am Eckkopfturm staune ich, wie viele Wanderer es trotz der widrigen Umstände bis nach oben geschafft haben. Sogar ein paar Mountainbiker sind unterwegs.

Wir suchen uns eine freie Bank, bauen unseren Kocher im Schnee auf und plaudern ein wenig mit einer Familie aus der Gegend. Sie ist fasziniert von unserer Kochaktion. Wir bieten ihnen ein paar Stücke unserer getrockneten Ananas an. Im Austausch reichen sie uns übriggebliebene Weihnachtskekse und laden uns auf zwei Becher Weißweinschorle ein. Wie gesagt, ist es schwierig, Wachenheim ohne einen Schwips zu verlassen.

Nach der Pause bin ich durchgefroren. Risotto und heißer Tee haben nicht gereicht, um mich warmzuhalten. Der Abstieg führt weiter übers Eis. Die Route ist einsam. Es wäre unangehm, auszurutschen, sich den Fuß zu brechen und in der Kälte auf Hilfe zu warten.

Langsam taste ich mich vorwärts, halte mich an Bäumen am Wegrand fest, suche eisfreie Stellen und schlage mich durchs Unterholz. Der Weg ist kaum noch zwei Fuß breit und voller gefrorener Fußspuren. Links von mir fällt der Berg nach unten ab, rechts geht es ebenso steil nach oben. Ich muss mich konzenrieren. Es wird langsam dunkel. Das kleine Büchlein hatte mich gewarnt. Ich hatte nicht hören wollen. Jetzt rutsche ich unkontrolliert einen Pfälzer Berg hinab. An einer Weggabelung komme ich nicht weiter. Der Hang ist auf so großer Fläche spiegelglatt, dass ich keine Chance habe. Resigniert laufe ich den kreuzenden Pfad ein Stück in die falsche Richtung, um mich weiter unten wieder in den Wald neben dem Weg zu schlagen und die Eisplatte großräumig zu umgehen. Ich verfluche unsere Unvernunft. Wenigstens die Wanderstöcke hätte ich einpacken sollen. Dass die Wege vereist sein würden, hätte ich mir denken können.

Späte Reue

Ein paar Minuten später passiert es dann: Mein Freund fällt. Er läuft etwa zehn Meter vor mir. Ich sehe, wie er torkelt, noch versucht, sich irgendwo festzuhalten. Er stürzt rücklings und knallt unsanft auf den Boden. Ich halte die Luft an. »Nichts passiert«, ruft er mir zu. Danach laufe ich noch vorsichtiger.

Nach etwa einer Dreiviertelstunde Abenteuer verschwinden Eis und Schnee, während wir uns dem Fuß des Berges nähern. Die Wege verwandeln sich wieder in die harmlosen Waldpfade, auf denen ich so gerne unterwegs bin.

Müde, mit kalten Fingern und roten Ohren erreichen wir Wachenheim. Zu unserer Überraschung hat der Verkaufsraum im Sektschloss trotz des Lockdowns geöffnet. Vielleicht gehört Sekt in Wachenheim in die Kategorie »Grundbedarf«. Wir ziehen unsere Masken auf und sehen uns um. Wir kaufen eine Flasche Rosé. Irgendwann werden wir den Sekt öffnen. Dann stoßen wir auf Wachenheim an – und auf eine »anspruchsvolle bis schwierige Wanderung«.

Wachenheimer Waldrunde (aus dem Buch »Pfälzerwald und Deutsche Weinstraße« des Conrad Stein Verlags)

Land: Deutschland (Rheinland-Pfalz)

Anreise: Wachenheim ist beispielsweise von Mannheim aus mit dem Zug erreichbar.

Gehzeit: Etwa fünf Stunden für 15,5 Kilometer (16. Januar 2021). Wenn der Weg nicht vereist ist, schafft man die Strecke gut in rund viereinhalb Stunden. Der Weg führt zunächst durch das Poppental am Schwabbach entlang zu »An den drei Eichen«. Von dort geht es über »Weißer Stein«, den Eckkopf und die »Grüne Bank« wieder zurück nach Wachenheim.

Herausforderungen: Einige Passagen rund um den Eckkopf sind recht steil. Ohne Eis drohen auf dem Weg aber kaum Gefahren. Die Runde führt fast ausschließlich über Forstwirtschaftswege und schmale Waldpfade. Die Beschilderung ist gut. Es gibt im Pfälzerwald allerdings so viele Wege, dass es hilfreich sein kann, Handy oder Karte zur Hand zu haben, zumal die Runde keiner durchgängigen Route folgt, sondern verschiedene Wanderwege nutzt.

Höhepunkte: Sektschloss Wachenheim, Keltenquelle, Schwabbach-Tal, Schnee, Eckkopf, Wachtenburg, Risotto im Schnee kochen, heißen Tee trinken, eiskalte Weißweinschorle trinken

Lust, in der Pfalz wandern zu gehen? Neben der Wachenheimer Waldrunde empfehle ich unter anderem den Ganerbenweg, den Leininger Klosterweg und die Tour von Lambrecht über den Drachenfels nach Frankenstein.

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