Hunsrück: Bremsgeräusche

Es gibt unterschiedliche Gründe, warum ich beim Wandern nicht vorankomme. Kälte lähmt mich. Bei Hitze klebe ich am Boden. Bergrunter muss ich aufpassen, berghoch ist anstrengend. Bei Aussicht will ich knipsen. In Gasthäusern mag ich Johannisbeersaftschorle trinken. In Brunnen will ich meine Arme reinhalten. Auf Brücken mich über das Geländer beugen und schauen, ob im Bach Fische zappeln. Im Herbst suche ich unter Laub nach Esskastanien. Ameisen mag ich zuschauen, wie sie zappelnde Raupen abtransportieren. Brombeeren am Wegrand muss ich pflücken. Himbeeren auch. Auf Bänken will ich rasten. Große Bäume mag ich umarmen. An Felshängen lege ich den Kopf in den Nacken und wundere mich, wie weit der Himmel weg ist. Am Strand puste ich Sand von den Muscheln.

Wenn ich es mir genau überlege, ist es ein Wunder, dass ich mich überhaupt vorwärtsbewege.

Der Wald kratzt sich

An diesem Tag im Hunsrück ist es ein Geräusch, das jeden Versuch, zügig voranzukommen, zunichte macht: ein fliehendes Rascheln am Boden, als würde sich der Wald seine welken Schuppen von der trockenen Sommerhaut kratzen. Die Töne sind dünn und zart wie brechende Chips.

Ich will wissen, welches Geschöpf durch das Unterholz krümelt, und halte an. Meinen Kopf wende ich hin und her wie eine Eule und verwandele mich in eine menschliche Parabolantenne, die auf die Signale bislang unentdeckter Lebensformen wartet. Damit bin ich in etwa so erfolgreich wie das SETI-Programm bei seiner Suche nach Außerirdischen. Immerhin die Richtung mache ich aus, aus der die geheimnisvollen Raschler zu kommen scheinen. Ich balanciere über den Schotter und folge der Spur. Meinen Rucksack ziehe ich fest an den Rücken, damit nichts klappert, und halte den Atem an.

Die Lebensform bleibt unerkannt

Vergebens. Nur noch ein kurzes Rischelraschel steigt aus der Erde, der Waldgeist scheint sich prächtig zu amüsieren. Vielleicht ist das Geräusch sein hämisches Kichern.

Ich schnappe nach Luft, lasse das Rucksackgewicht zurück in die Gurte plumpsen und gebe mich damit ab, mit dem Raschelwesen erst einmal keine Bekanntschaft zu schließen.

Für ein paar Minuten höre ich nur Zikaden (und scheuche einige von ihnen auf; sie schnippen akrobatisch von einem Grashalm zum nächsten). Vögel singen in Baumkronen müde Mittagslieder. Ich laufe auf einem breiten Waldweg, ein Pferdefuhrwerk ruckelt den Weg entlang. Die Tiere riechen wie schwitzendes Heu. Zwei Wandererinnen in bunten Leggins kreuzen meinen Pfad.

Dann ist es wieder da, dieses Knistern, und reißt mich aus meiner Wandertrance. Ich drehe mich um, versuche, Kontakt aufzunehmen und wühle mit meinem Fuß im Unterholz. Keine Antwort. Das Raschelgeschöpf bleibt stumm.

Auf einmal sind die Tonspuren überall. Folgen sie mir? Die flatterhaften Klänge kitzeln in meinen Ohren. Ich horche, lauere. Das Tier bleibt unsichtbar. Laub und Äste bewegen sich.

Neue Taktik: Interessenlosigkeit vorgaukeln

Wenn ich nicht herausfinde, was für ein Vieh das ist, werde ich wahnsinnig. Und vor allem: Ich komme gebremst vor Neugier überhaupt nicht mehr voran.

Es muss ein kleines Wesen sein. Ich ändere mein Vorgehen, tue so, als würde mich das alles überhaupt nicht interessieren, mime den Ignoranten. Dann stoppe ich abrupt, als wäre mir ein Baum in den Weg gesprungen, und stehe stocksteif, den Kopf wie eine Schildkröte nach vorne geschoben, die Augen hefte ich an den Boden. Und jetzt entdecke ich, nur eine Satz entfernt, einen der Raschler: eine Maus. Sie fliegt über den Boden, schnuffelt. Ihre Ohrmuscheln zucken.

Die Mausüberrumpelungstaktik funktioniert – die Dichte der Nagersichtungen steigt. Nur vorwärts komme ich immer noch nicht, weil niedliche Mäuse gucken und strammes Marschtempo unvereinbar sind. Ich mache ein verwackeltes Video von einer Maus (siehe unten) und schenke dem Treiben am Boden keine weitere Beachtung (das Geheimnis ist ja gelüftet), während ich an surrenden Windrädern, Wiesen und staubigen Rapsfeldern entlangspaziere.

An den Fischteichen des ehemaligen Klosters Kumbd setze ich mich auf eine Bank, lehne mich zurück und packe meine Pausensemmeln aus. Dann höre ich es: Es quakt und platscht.

Ich richte mich auf. Die Geräusche ziehen mich zum Wasser; auf der Oberfläche des Teichs wippen große Blätter.

Kröten? Frösche? Wie hört sich ein Molch an? Oje, denke ich, jetzt muss ich wahrscheinlich hier übernachten.

Hunsrück: Traumschleife Klingelfloß (Rundwanderweg)

Land: Deutschland

Anreise: Ihr erreicht den Wanderweg mit dem Auto oder mit dem Bus. Die Bushaltestelle heißt Klosterkumbd Birkenhof. Ihr könnt die Wanderung dort starten. Ich bin mit dem Auto angereist und habe an der Gesellschaftsmühle geparkt.

Gehzeit: knapp drei Stunden für acht Kilometer (1. Juli 2019)

Herausforderungen: Der Weg ist meiner Ansicht nach an einigen Stellen nicht eindeutig beziehungsweise nicht ausreichend beschildert; Karte oder Handy helfen dann weiter. Es gibt nur wenig Steigung, der Weg führt meist über breite und gut begehbare Wege und ist damit auch für Wanderneulinge geeignet.

Höhepunkte: Mäuse, Kornblumen, Teiche des einstigen Klosters Kumbd, Blick auf die Hunsrückhügel, Schmetterlinge, Bänke zum Rasten (sehr gemütlich!)

Du magst Wandergeschichten, in denen Tiere vorkommen? Davon gibt es hier jede Menge: In Schottland bin ich dem Moorhuhn begegnet, in Tirol den Schwarznasenschafen, in Neuseeland der Schildlaus und in Australien dem Ameisenigel. Schau doch mal vorbei!

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