Padjelantaleden: Hirnfrost

»Wie macht ihr das mit dem Duschen?« Irgendwann fragen sie alle. Die Antwort auf diese Gretchenfrage interessiert den Nichtwanderer viel mehr als die Schilderungen grandioser Gebirgslandschaften, bei denen er nach wenigen Minuten anfängt, seine Fingernägel zu untersuchen, als hätte ein humpelnder Pirat darauf eine schwer zu entziffernde Schatzkarte gekritzelt.

Ausbruch aus der Waschnorm

Wenn ich von den hygienischen Herausforderungen einer Fernwanderung erzähle, sind die Zuhörer plötzlich aufmerksam. Sie wittern einen Skandal, einen Bruch mit der bürgerlichen Waschnorm.

Die Duschfrage ist intim. Nur wer mich schon länger kennt, traut sich, Erkundigungen über die Lösung des Waschproblems einzuholen. Je nach Gemüt fallen die Reaktionen auf meine Anwort unterschiedlich aus. Achtjährige Jungs überlegen, ob sie ihre Karriere als Polizist an den Nagel hängen und auf Fernwanderer umschulen sollen. Meine Kusinen im Alter zwischen dreizehn und fünfzehn rümpfen die Nase, scheint ihnen doch ein Leben ohne Vanille-Himbeer-Shampoo und Orangen-Maracuja-Duschgel ähnlich attraktiv wie eine Verbannung in die afrikanischen Goldminen.

Gute Vorsätze gehen nicht unbedingt baden

Die einfache Antwort lautet: Ich dusche nicht. Zumindest nicht beim Trekking, etwa auf dem Padjelantaleden. Fernab jeglicher Zivilisation in den Moorlandschaften oder auf den Rentierweidegründe des rund 140 Kilometer langen Wanderwegs am schwedischen Polarkreis gibt es keine Duschkabinen. Wobei ich für den Padjelanta hehre Vorsätze hatte: Ich wollte im Gebirgssee baden, danach auf einem Bett aus Moos trocknen. Unter einem Wasserfall nixengleich mit den Fröschen singen. Oder mich mit Schnee abreiben.

Wasser gibt es auf dem Padjelanta zu genüge: Es gibt so viel Wasser, dass es einem tagelang in den Schuhen steht. Teile des Weges sind morastig und durch ein paar Bächlein muss man auch. Es gibt kleine Tümpel, über denen Stechmücken flirren, riesige stille Seen, auf denen ab und an ein kleiner Kahn schippert, Quellen, Pfützen, Flüsse, Regen, Gletscher, Rinnsale und donnernde Wasserfälle.

Katzenwäsche im Fjäll

Für ein Bad oder eine Dusche fehlt mir dort allerdings der Mut. Das Wasser hat Kühlschranktemperatur. Aber nach ein paar Tagen Marsch durch die subarktische Wildnis fühle ich mich doch leicht ranzig. Nicht arg, nur ein bisschen. Also entscheiden mein Freund uns für Katzenwäsche im Bach, an einem Abend, an dem immerhin die Sonne über dem Fjäll goldgelb leuchtet. Schuhe aus, Klamotten aus, Handtuch schnappen und rein ins Wasser.

Ich bibbere, die Füße werden erst blass, dann rot, ich schrubbe, Wind bläst über meine Gänsehaut. Ich trockne mich mit dem Mikrofasertrekkinghandtuch ab, was nichts taugt, weil es das Wasser nur auf mir verteilt, anstatt es aufzusaugen. Mein Freund offenbart mir, er werde sich jetzt noch die Haare waschen. Ich schaue ihn an wie ein Bär auf Koks. So viel Heldenmut! Ich werde bei dieser Aktion, die sicher nur die tapfersten überstehen, assisstieren. Wir füllen eine Flasche mit Wasser.

»Jetzt?«, frage ich.

»Jetzt«, sagt meint Freund und legt den Kopf in den Nacken. Ich schütte ihm das Wasser über seine kurzen Haare. Eine feierliche Wassertaufe in der Wildnis Skandinaviens.

Mein Freund schüttelt sich und reibt seine Haare trocken.

»Willst du auch?«, fragt er.

»Nein, Danke«, antworte ich. »Ich habe Angst vor Hirnfrost.«


Nachtrag: Wer sich umweltverträglich waschen möchte, tut dies am besten außerhalb der Gewässer mit Hilfe der oben beschriebenen Flaschentechnik. Also: Trinkflaschen füllen und als improvisierte Dusche nutzen. Biologisch abbaubare Seife ist Pflicht. Der Boden hat dann eine Chance, das Abwasser zu filtern. Wer in Bach oder See steigt, tut das am besten ohne Seife. 

 

Mehr Lesestoff

Mein Blog Padjelantaleden: Müsli-Müdigkeit dreht sich um den Genuss von Haferflocken und die Frage, wie viel davon für einen Wanderer verkraftbar ist.

 

Blick auf einen See auf dem Padjelantaleden
Die Wolken spiegeln sich im Wassser: Auf dem Padjelantaleden gibt es jede Menge Seen.

 

2 Kommentare Gib deinen ab

  1. Martina sagt:

    Super unterhaltsam geschrieben! Und sehr mutig, im eiskalten Wasser zu baden, aber irgendwann übersteigt der eigene Körpergeruch halt die Angst vor Kälte… 😀
    Liebe Grüße, Martina

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